Fusion // Confusion
The art of reference
12 January 2008 – 30 March 2008
Museum Folkwang, Essen
A group exhibition with:
Zbynek Baladrán (Czech Republic), Michael Beutler (Germany), Luca Buvoli (Italy), Simon Dybbroe Møller (Denmark), Cyprien Gaillard (France), Dionisio González (Spain), Konsortium (Germany), Ciprian Muresan (Rumania), Deimantas Narkevicius (Lithuania), Veit
Stratmann (France)
Why do so many young artists deal with the beginnings of the Modern and those Modernist forms which developed thereafter? Which models do they draw on, which heroes are overthrown? These questions are the starting point of a succinct selection of younger artists from Western and Eastern Europe who have attracted international attention in the last few years. They provide a complex formulation of the ambivalent relation to the Modern, a nostalgia for its innocent purity of language, its utopian potential, but equally critique.
The term “Fusion”, often used in economics today, describes these artists’ methodology.: they take on forms, theses and construction principles from art and architecture through citation, copying or transformation, sometimes refusing clear authorship, commentating critically and ironically, merging artistic genres and transforming existing references.
A new vision of a younger artist generation of the Modern, against a background of global political and economic change, makes evident an ever growing distance to avant-garde art of the 20’s and the 60’s. The visions of the past, however, still define the aesthetic parameters of contemporary art. But the promises of “yesterday” can no longer serve as prescription of today’s reality. They no longer mean the same thing. Where can art go? Which functions can be formulated for art today – beyond the art market.
Curator: Sabine Maria Schmidt
Some excerpt chapter of the catalogue (germ./engl.)
Sabine Maria Schmidt about_Deimantas Narkevicius
Some installation views
Referenz, Ruine, Utopie
Eine kurze Einführung zu drei inhärenten Leitbegriffen in der Ausstellung „Fusion // Confusion“
Das sich Kunst auf Kunst bezieht, ist ein oft bewiesener Allgemeinplatz und schafft erst die Basis der Kunstgeschichte. Über Jahrhunderte gaben Lehrmeister, Traditionen und Schulen die Vorbilder, Anregungen und stilistische Leitlinien für nachfolgende Künstlergenerationen vor. Dass die Referenz auf ein anderes Kunstwerk primäres Thema von ihm selber wird, ist allerdings relativ neu. Die bildnerische Reaktion auf Kunst tritt vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in temporalen Schüben in Häufigkeit auf und hat zahlreiche Spezifizierungen von der Hommage über das Zitat, die appropriative Kopie, die Verwandlung, die ironische Persiflage, die Montage und das Sampling erfahren.[1] Sie markiert vor allem Brüche, radikale Vorstöße und exzeptionelle Leistungen. Kunst kann dabei traditionelle Formen benutzen und gleichzeitig damit deutlich machen, dass deren eigentlichen Inhalte nicht mehr transportiert werden.
Wenn der junge Rumäne Ciprian Muresan Re-Interpretationen von Maurizio Cattelan und Yves Klein vorführt, dann reiht er sich ein – gewollt oder nicht – in die bildkünstlerischen Rezeptionsketten, die in ihrer Einfachheit und Treffsicherheit genauso genial wirken wie die zitierten Vorbilder. Wir denken z.B. an Duchamps „Mona Lisa“, General Ideas Adaption (Aids, 1987) von Robert Indianas „Love“ (1972), Johannes Wohnseifers unbetitelte „Fettecke“ (Meister Proper Ultra, 1993), Robert Rauschenbergs „Erased de Kooning Drawing“ (1952) und Warhols Attacken auf Jackson Pollock mit den „Oxidation Paintings“ (1978). Hintergründig, intelligent, ironisch und vor allem beziehungsreich ist Muresans Aneignung von Cattelans „La nona ora“ (1999), die Papst Johannes Paul II. von einem Satelliten dahingestreckt zeigt. Muresan ändert den Titel in „Das Ende des Fünf-Jahres-Planes“ und wechselt den Protagonisten aus. Hier ist es nun der Teoctist I., der Patriarch der rumänischen Kirche, der in gleicher Pose niedergestreckt ist. Dem jungen Rumänen gelingt derart eine subtile Kritik an der Verknüpfung des religiösen und politischen Systems seines Heimatlandes und dessen überholten Nationalbegriffes; zugleich eignet er sich spielerisch leicht die groteske Sprache eines der radikalsten zeitgenössischen westlichen Künstler an.
So wie der 20jährige Yves Klein vor seinen Freunden Arman und Claude Pascal am Strand von Nizza den blauen Himmel zu seinem rechtmäßigen Eigentum und ersten Kunstwerk erklärt, formulieren die Künstler von „Konsortium“ in ihrer Arbeit einen Anspruch auf freie Verfügbarkeit von allem und zitieren referenzlos Arthur C. Dantos Sentenz: „Zeitgenössische Kunst definiert sich nicht zuletzt dadurch, dass die Kunst der Vergangenheit den Künstlern zur freien Verfügung steht.“ Das ist weniger als Aufforderung zum Plündern gemeint, denn als Referenz auf den immer wieder formulierten Akt der Befreiung, der in der Kunst immer zugleich ein symbolischer als auch höchst realer Akt der Befreiung von anerkannten Regeln war; ein beinahe paradoxes Miteinander von Kontinuität und Bruch, bei dem das, was gebrochen werden soll, zugleich höchste Beachtung und Anerkennung findet. Die Künstler der Gruppe Konsortium (Lars Breuer, Sebastian Freytag, Guido Münch, Jan Kämmerling) arbeiten auf diesem Terrain als Künstler und Veranstalter, sind organisiert wie ein Independent-Label, dass sich alle Distributionswege der Kunst nutzbar macht. Sie bezeichnen sich selbst als „Fans der Minimal- und Konzeptkunst“ und operieren auf höchst vielschichtigem und subversivem Niveau am „Bildbegriff“ und den Grenzen von Kunst, Design, Architektur und Pop.
Yves Klein hat wie kein anderer die verschwindende Relevanz der in der Kunst praktizierten Sprache der Objekthaftigkeit formuliert und die Entstehung einer historischen Wirklichkeit aufgezeigt, in der die Welt als (ideeller) Raum erlebt wird. Als junger Mann habe er „Hass [empfunden] gegenüber den Vögeln, die in meinem blauen wolkenlosen Himmel hin und her flogen, weil sie mein schönstes und größtes Werk durchlöchern wollten.“[2] Den Raum der Referenzen ebenso frei durchfliegen zu können, ist ein schönes Bild. Doch drohen hier auch Bruchlandungen. Es kommt schon dem Akt einer Ausradierung gleich, wenn Ciprian Muresan Kleins berühmten „Sprung in die Leere“ um nur fünf Sekunden vordatiert. Immerhin ist der Fahrradfahrer – gemäß den Regeln einer Zeitreise – ein Stück seines Weges weitergekommen, ohne den Schrecken des Dystopischen gewahr zu werden.
Er war wohl Kleins spektakulärste Eroberung des Raumes; eine waghalsige Inszenierung des Menschheitstraumes, die eigenen physischen Grenzen zu überwinden. Das legendäre Foto, auf dem Klein in der Luft schwebt, wurde in „Dimanche – La journal d’un seul jour“ veröffentlicht, einer von Yves Klein selbst produzierten Tageszeitung, die nur in einer einzigen Ausgabe existierte: die vom 27. November 1960. Sie war in ganz Paris an Kiosken zu kaufen. Den Vögeln den Platz am monochromen Himmel streitig zu machen, gelang mit zwei ausgebildeten Judokas, die ein Sprungtuch hielten und eines Fotografen, der zwei Fotos zusammenmontierte, um die „störende Realität“ wegzuretuschieren.[3]
Die stabile Seiten- und Bodenlage, die Muresan den Vorbildern zumutet, bringt aber noch etwas anderes zusammen: er führt die Luftsprünge des Utopischen wieder in die Gravitationsfelder der Realität zurück, setzt die „Skulptur“ (Performance des Springenden) wieder zurück auf den „Sockel“ (die Straße). Ähnliches geschieht in „Once in the XXth Century“ von Deimantas Narkevičius, dessen Film auf vorgefundenes Found-Footage-Material zurückgeht. Es dürfte kaum eine vergleichbare Arbeit geben, die in solch eindringlicher und zugleich einfacher Weise die gesamte Denkmalproblematik der ehemaligen Blockstaaten zusammenfasst und die Unmöglichkeit einer Surrogatfunktion der Kunstwerke zugunsten verdrängter Aufarbeitungsrituale von Geschichte deutlich macht. Nicht zuletzt zeigt sich einmal mehr, dass die Verantwortung für die Aufarbeitung nicht die zu Ehrenden, sondern die Ehrenden tragen.
Der litauische Künstler Deimantas Narkevičius befasst sich ebenso wie der tschechische Künstler Zbynĕk Baladrán mit der Erfahrung von kollektiver, primär osteuropäischer Geschichte. In der seit den neunziger Jahren politisch und kulturell dynamisierten Situation osteuropäischer Staaten spüren die Künstler ein gegenwärtiges Vakuum auf, in dem sich die ideologische Wahrnehmung in ihren Ländern weder durch eine Reflektion der eigenen Historie, noch durch die Vorstellung einer zukünftigen Vision auszeichnet.
Künstlergruppen wie IRWIN haben uns als erste über eine Grundproblematik künstlerischer Produktion während des Sozialismus aufmerksam gemacht: Während der sozialistischen Epoche gab es „kaum transparente Strukturen, um kunstgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, Kunstwerke und Künstler in einem Bezugssystem zu organisieren, das außerhalb der Grenzen eines einzelnen Landes akzeptiert und respektiert würde“. Die Kommunikation zwischen Künstlern, Kritikern und Theoretikern war weitgehend blockiert. War es schon schwierig, ohne Unterstützung und Netzwerke, die in der Zeit des Sozialismus geschaffene Kunst als Ganzes zu verstehen, war es noch unmöglicher Wege zwischen lokalen und internationalen Kunstsystemen zu finden.[4] Die Lust an der Referenz und die ungewöhnliche Vernetzung mit temporären Künstlergruppen, die Schaffung von Online-Magazinen und eigenen Projekträumen spiegelt dieses Defizit wieder.
Die osteuropäischen Künstler verdeutlichen einen Paradigmenwechsel in der Rezeption der historischen Avantgarde in (medien-)künstlerischen Projekten der späten 1980er und 1990er Jahre. „Dieser Paradigmenwechsel liegt im veränderten Verhältnis zum Begriff der (politischen wie künstlerischen) Utopie begründet. Vor allem seit Beginn der 1990er Jahre lässt sich eine signifikant veränderte Rezeption der historischen künstlerischen Avantgarde in Projekten junger Künstlerinnen und Künstler aus dem östlichen Europa feststellen (Neo-Utopismus, Retro-Utopismus). In ihren künstlerischen Projekten wird z.B. ein verstärktes medienarchäologisches Interesse für frühe utopische Technologiephantasien der Avantgarde wahrnehmbar, das symptomatisch für ein signifikant verändertes Verhältnis zur Utopie bzw. zum Utopischen ist: Das Utopische löst sich von seinem eindeutig negativen, da politisch-totalitären Beigeschmack (verstanden als ‚Utopismus’) und wird wieder verstärkt positiv politisch konnotiert, d.h. als emanzipatives oder auch visionär-gespinsthaftes Potenzial verstanden (‚Utopizität’).“[5]
Avantgarde galt immer als ein Projekt, Kunst und Kunstkritik als gesellschaftsverändernde Praxis zu betreiben. In ihren radikalen Utopien ist die europäische Avantgarde – so der Kanon – bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gescheitert. „Seit etwa 1960 verbreitet sich in der Kunstszene ein neues Verständnis von Avantgarde als eine Kunststrategie, die über die kritische Reflexion ihres eigenen Selbstverständnisses neue Perspektiven für eine gesellschaftsverändernde Kunst aufzeigen will, allerdings ständig Gefahr läuft, über die Selbstkritik den praktischen Bezug zur gesellschaftlichen Realität zu verlieren.“[6] Es mag hier als These bestehen bleiben, dass die Impulse osteuropäischer Künstler derzeit wieder auf eine Vielzahl westeuropäischer junger Künstler zurückwirken, die eine Konzeptkunst der Gesten, eine sarkastische, primär Kunstmarkt-orientierte Haltung ablehnen und neue (bzw. alte neue) Aufgaben für eine Kunst in der Gesellschaft einfordern.
Der Akt der Auslöschung, den Muresan an den Protagonisten seiner beiden erwähnten Fotoarbeiten vollzieht, erinnert an Robert Rauschenbergs berühmten Besuch bei Willem de Kooning im Jahr 1953, um ihn um eine Zeichnung zu bitten, die er auszuradieren gedenke.
Obwohl methodisch völlig gegensätzlich, erscheint mir Simon Dybbroe Moellers Deckengemälde „Inside the ceiling“ mehr als verwandt. Vier Wochen Arbeit und mehrere Radiergummis benötigte Rauschenberg, um Koonings Zeichnung auszulöschen. Simon Dybbroe Moellers Zeichnung bedarf annähernd eines ähnlichen Zeitraumes, um sich voll zu entfalten. Aus der Decke tropft behutsam das Portrait Le Corbusiers, das sich als Epiphanie eines künstlichen Wasserschadens ereignet, eine subtile Fußnote auf die immer wieder erlebten Erfahrungen mit Flachdächern. Mit seinen Installationen knüpft Simon Dybbroe Møller an die Tradition der amerikanischen Konzeptkunst der 1960er Jahre und vor allem an Künstler wie Robert Morris an, deren Arbeiten sich dem Thema der Institutional Critique widmeten. Anders als die Vertreter der ersten Generation, die abstrakten Ideen Bedeutung zuschrieben und die Visualisierung des Konzeptes als sekundär betrachteten, legt Dybbroe Møller großen Wert auf einen poetischen und spielerischen Umgang mit konzeptuellen Fragestellungen. Die Auseinandersetzung mit Architektur findet sich vielschichtig in seinem Werk. In einer früheren Vidoarbeit verbindet Simon Dybbroe Møller eigene Musik und das Bild einer Ruine der Moderne, dem 91m hohen „Szkieletor“ in Krakau, das als modernes Hochhaus geplant, nie fertig gestellt wurde und nie etwas anderes war als eine Ruine. Die gefilmte Ruine wird als Projektion wiederum gefilmt, während Simon Dybbroe Møller den paradoxen Versuch unternimmt auf den Film, in dem keine Handlung sichtbar wird, mit Musik zu reagieren. „Wir kommen zu spät, das Ereignis hat stattgefunden, wir bewohnen die Ruinen, die es zurückgelassen hat. Andererseits erkennen wir uns (…) in diesem gebrochenen Verhältnis selbst. Die Ruinen, die wir bewohnen, sind der Ort, an dem wir leben und damit immerhin eine Art Zuhause.“[7]
Ähnlich formuliert auch Mark Lewis ein Gefühl gegenüber einem Gebäude, dem Apartmenthaus in Vancouver, das er über viele Jahre fotografierte: „“Mein“ Gebäude ist natürlich stehen geblieben und es hat (zumindest vorläufig) jeder zeitgenössischen Modernisierung widerstanden, allerdings sieht es inzwischen ziemlich vernachlässigt aus: Die Farbe blättert ab, der Beton fängt an verschiedenen Stellen abzubröckeln, so dass die scharfen Kanten des Gebäudes weicher werden […] Es verstört mich selbst etwas, aber ich glaube fast, dass in diesem Verfall und Niedergang des Gebäudes der wahre Grund liegt, warum ich mich so zu ihm hingezogen fühle und warum ich immer noch glaube, dass es eine Art Geheimnis birgt […]. Die Idee eines vor unseren Augen zur Ruine werdenden modernistischen Bauwerks ist zwar eine sehr verführerische Vorstellung, aber auch deprimierend elegisch und bestenfalls tautologisch.“[8] In England hat modernistische Architektur nie besondere Wertschätzung erlangt.
Der junge französische Künstler Cyprien Gaillard thematisiert in seinen Arbeiten den Umgang mit brutalistischer Architektur der 60er Jahre in Frankreich und England. Eines seiner Konzepte sieht die Schaffung eines großen Ruinenparks internationaler moderner Hochhausarchitektur nach dem Vorbild romantischer Landschaftsgärten vor. Anders als Karl Friedrich Schinkel oder später Caspar David Friedrich geht es ihm aber nicht um inszenierte „Ruinen“, sondern um einen Denkmalschutz der besonderen Art (vgl. den Text von Payam Sharifi). In seinen Radierungen fügt er Wohnblöcke brutalistischer Architektur in klassisch-traditionelle Landschaften ein und weist auf die zukünftig ambivalente und vielschichtige Sichtweise der Moderne hin. In Fotodokumentationen und Videoarbeiten dokumentiert er in eindringlichen Architekturportraits den Abriss von Hochhäusern, die Architekturgeschichte geschrieben haben und mit der gleichen „Celebrity“ abgerissen werden, mit der sie ehemals eingeweiht wurden. Dabei arbeitet Gaillard weniger mit Reportage und Dokumentation, sondern mit historisierenden und zugleich vieldeutigen Inszenierungen. Gaillard nimmt eine Zwischenposition ein, die sich im Feld des sich treiben-lassenden situationistischen Dérive, der Okkupation der Graffiti-Gangs und dem spezifischen visuellen Abfahren der Oberflächen der Betonarchitekturen (vergleichbar dem der physischen der Skater) beschreiben lässt.
Spätestens seit den siebziger Jahren hat sich die städtische Architektur des 20. Jahrhunderts zunehmend als Verkehrung modernistischer Ideale generiert, die den Alltagsbedürfnissen der Bewohnerinnen häufig entgegenstand. Zu Beginn der neunziger Jahre setzten zunehmend urbanismuskritische Projekte ein, die eine Relativiertheit der Bewertung singulärer Architekturen deutlich machten. Eine einzelne Architektur kann ein städtisches Umfeld genauso wenig verschönern bzw. verschlechtern wie ein einzelnes Kunstwerk eine Architektur (Kunst am Bau). Seit einigen Jahren zeichnet sich – nicht zuletzt durch die bildenden Künstler – eine neue Bewertung modernistischer Architektur ab. Dabei geht es auch darum, an dessen utopisches Potential zu erinnern: Die Schönheit der Maschine, Eine Wohnung für Jedermann, Das Glashaus, Der Kunde als König (das Kaufhaus), das Kollektivhaus, die vertikale Gartenstadt, Lehmbauten für die Armen, Wohnpaläste für die Werktätigen.[9]
Doch gibt es noch andere Felder, die in der Ausstellung eröffnet werden sollen. Dionisio González erweitert in seinen überarbeiteten Panorama-Fotografien die sich selbst organisierenden Favelas-Viertel mit Elementen von Avantgarde-Architekturen. Der sich selbst organisierenden Raumidentität wird das formale Konzept traditioneller Städteplanung gegenübergestellt, das in der rasanten Entwicklung von Mega-Städten nur noch partiell greifen kann. Das Ruinöse der Favela-Hütte wird Ausgangspunkt neuer Architektur.
Michael Beutler schafft höchst komplexe architektonisch-skulpturale Interventionen, die den Ort und dessen Nutzung verändern, aber darüber hinaus auch neue Räumlichkeiten schaffen. Sie sind temporär. Zur Realisierung entwickelt er eigene „Herstellungsapparaturen“, Maschinen, mit denen der Künstler nur genau so viel Material produziert, wie er für seine Arbeiten benötigt, dennoch maschinell ähnliche Vervielfältigungsformen findet. Beutler hinterfragt Produktionsprozesse, „Materialehrlichkeit“ und verweist nicht zuletzt auf architektonische Grundhaltungen durch Referenzen an berühmte Architekten und Konstrukteure. In seiner Essener Installation „Babel“ bleibt das ambivalente Verhältnis einer offenen Arbeitssituation spürbar. Unklar bleibt, ob noch aufgebaut, oder schon wieder abgebaut wird.
Luca Buvoli greift Modelle und Manifeste des Futurismus auf, das große Leitbild in der italienischen Kunst der Moderne, bald tragisch mit dem Faschismus verwoben. In einer Videoarbeit, die jüngst auf der Biennale in Venedig zu sehen war, führen Personen mit Sprachstörung die Rezitation des futuristischen Manifestes auf, dass die Verherrlichung von Technik und Geschwindigkeit preist. Für Essen entwickelt Buvoli eine neue Präsentationsform. Die fragmentarische Sprache der Vortragenden – bedingt durch eine natürliche Sprachstörung derselben – deutet den manifestierten Technik- und Geschwindigkeitsrausch auf sein bevorstehendes Scheitern aus.
„Ruins, Archaeology and the Gap between Images“ nennt Zbynĕk Baladrán einen Text, der auf die Bildflut und die fragmentarische Sicht unserer Welt durch Millionen disparater Bilder aufmerksam macht. Zugleich macht er auf die synchrone Gleichwertigkeit von Bildern unterschiedlicher Zeiten aufmerksam: „Images that are hundred years old exist side by side with images that are ten years old and images that are a few seconds old.“ Bilder unterliegen daher einer schnellen Verfallszeit, überlagern sich neben- und übereinander wie die Schichten archäologischer Ausgrabungen. Sie verdecken oder verbinden sich zu neuen Anordnungen außerhalb ihres eigentlichen Kontextes. Je nach Standort oder „Ausgrabungsphase“ ändern sie ihre Verbindungen und Beziehungen und sind daher unendlich vieldeutig. Auch neue Bilder können unmittelbar zu Ruinen werden. Je schneller und umfangreicher die Bildproduktion, desto schneller die Überlagerung eines Bildes durch neue Schichten.[10] Wie auf einer archäologischen Ausgrabungsstätte rücken daher für Baladrán die Bilder verschiedener Phasen zu einer Epoche zusammen. Für den Künstler bilden sie den Ausgangspunkt zahlreicher Referenzen und Interpretationen. Er konzentriert seine medien-archäologischen Untersuchungen dabei auf die letzten fünfzig Jahre, einen Zeitraum, der eine aktive und subjektive Erinnerungskultur unserer Zeit garantiert und den Kontrast medialer Sichtweisen deutlich lässt. Die Metapher der „archäologischen Ausgrabungsstätte“ ist ihm eine Analogie für die Unmöglichkeit ein Bild in seinem gänzlichen Kontext zu sehen und zu verstehen. Es definiert räumliche und zeitliche Koordinaten in größeren Feldern. Auch die Bilder des 20. Jahrhunderts rücken diesbezüglich näher zu denen es 19. und 21. Jahrhunderts.
Vielleicht bedingt auch dieses, warum wir die Moderne noch lange lieben werden: Die Ruine drückt das Ideal in ihrem Scheitern aus.
Sabine Maria Schmidt
[1] Vgl. hierzu: Gregor Stemmrich: Rezeptionsmodelle. Kunst als Reflexionsform ihrer Geschichte, in: Kat. Kunst nach Kunst, Neues Museum Weserburg, Bremen 2002, S. 12 – 19 (engl. Übersetzung ebda.: Models of reception. Art as a Form of Reflecting its Own History, S. 20 – 25)
[2] Zit. aus Nuit Banai: Vom Mythos der Objekthaftigkeit zur Ordnung des Raums: Yves Kleins Abenteuer der Leere, in: Kat. Yves Klein, hrsg. von Olivier Berggruen, Max Hollein und Ingrid Pfeiffer, Schirn Kunsthalle, Frankfurt 2004, S. 17; vgl. auch Yves Klein: „Hotel Chelsea. New York 1961“, Kunstverein Hannover und Kunsthalle Bern, 1971, S. 44.
[3] Es existieren zwei Versionen des Fotos, eines mit Radfahrer im Hintergrund und eines ohne, wodurch die Fotomontage offenkundig ist. Die Fotografen waren Harry Shunk und John Kender. Aufgenommen wurde der Spunrg vor der Mauer des Hauses Rue Gentil Bernard 5, Fontenay-aux-Roses, einem Vorort östlich von Paris. Ciprian Muresans Foto ist in einer Straße seiner Heimatstadt Cluj entstanden.
[4] Näheres hierzu: East Art Map Ein Projekt von IRWIN und New Moment, seit 2001 (http://www.projekt-relations.de/de/explore/east_art_map/index.php)
[5] Inke Arns: Objects in the mirror may be closer than they appear, Diss. Berlin 2004. (Abstract zit. n. http://edoc.hu-berlin.de/docviews/abstract.php?lang=ger&id=20894)
[6] Guido Boulboullé: Kunst nach Kunst – ein Avantgardekonzept. Eine Problemskizze, in: Kat. Kunst nach Kunst, Bremen 2002, S. 26.
[7] Jan Verwoert „Es ist dasselbe alte Lied, aber mit einer anderen Bedeutung seit du gegangen bist“, in: Katalog: Simon Dybbroe Møller „Like origami gone wrong“, hrsg. von Aarhus Kunstbygning und Kunstmuseum Thun, 2006.
[8] Mark Lewis: Ist die Moderne unsere Antike?, in: Documenta Magazine No. 1, 2007. Modernity?, Kassel/Köln 2007, S. 31f., 28 – 53
[9] Entnommen einigen Kapitelüberschriften von Ursula Muscheler: Haus ohne Augenbrauen. Architekturgeschichten aus dem 20. Jahrhundert, München 2007.
[10] Vgl. Zbynĕk Baladrán: Ruins, Archaeology and the Gap between Images, publiziert u.a. auf der Homepage http://tranzitcz.media7.sk/artists/artist.php?id_aa=10&page=1&id_aa_praca=31