8. Juni 2013 – 5. Januar 2014
Beteiligte KünstlerInnen aus der Sammlung und Gäste:
Dieter Appelt, Heike Aumüller, Boris Becker, Böhm/Kobayashi, Thomas Demand, Thomas Eller, Ayse Erkmen, Thomas Florschuetz, Herwig Gillerke, Richard Hamilton, Matthias Hoch, Martin Honert, Christian Jankowski, Dieter Kiessling, Joanna Kosowska, Marie-Jo Lafontaine, Martin Liebscher, Ute Lindner, M+M, Björn Melhus, Marcel Odenbach, Gerhard Richter, Heinrich Riebesehl, Ulrike Rosenbach, Thomas Ruff, Michael Sailstorfer, Jörg Sasse, Christoph Schlingensief (und Klasse), Cordula Schmidt, Roman Signer, Heidi Specker, Hiroshi Sugimoto, Wolfgang Tillmans, Rosemarie Trockel, Egbert Trogemann, Klaus vom Bruch, Arnold von Wedemeyer, Clemens von Wedemeyer, Wolf Vostell, Tony Ward, Tom Wood
Installation View
Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen.
Mit über 150 Werken in acht Räumen präsentierte die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen erstmals aktuelle Positionen zeitgenössischer Fotografie aus der Sammlung. In den Fokus gerieten dabei vor allem Schenkungen und Ankäufe der letzten zehn Jahre. Zahlreiche Arbeiten wurden zum ersten Mal ausgestellt oder konnten nach langen Jahren wiederentdeckt werden. Dazu gehören Werkserien wie Hiroshi Sugimotos Time Exposed, Tom Woods Looking for Love, Cordula Schmidts Sonnenstand ebenso wie Neuzugänge von Christian Jankowski, Clemens von Wedemeyer, Wolfgang Tillmans, Heidi Specker, Martin Liebscher, Sam Taylor-Wood, Matthias Hoch, Roman Signer und vielen mehr.
Installation View
M+M „Panic Wall“
Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen.
Seit jeher beginnt Bildfindung und Inszenierung mit der Entscheidung, etwas in den „Fokus“ zu rücken. Das „Zoomen“ und aktive Navigieren um den Fokuspunkt entscheidet über Schärfe und Unschärfe unserer Wahrnehmung, und diese damit über Schärfe und Unschärfe von Wahrheit. Das in den Fokus gerückte mediale Bild regiert heute unsere Aufmerksamkeitskultur, über die wir kaum mehr selbst entscheiden. Dieses ist zugleich immer wieder Thema kritischer, ironischer oder subversiver Fragestellungen von Künstlern geworden. So visualisieren M+M Reden von medial allpräsenten Regierungsoberhäuptern wie George W. Bush, Putin und Ahmadinedschad. Ein ganzer Ausstellungsraum kreist um die Frage des „Selbst“ und der narzistischen Selbstbespiegelung. Ein anderer um die Bedeutung des „Ortes“ in der Fotografie. Peter Campus frühe digitale Farbfotografien, Thomas Ruffs Substrat oder Boris Beckers Fakes befragen die Authentizität des Bildmotives. Egbert Trogemanns Werkserie Audience das dialogische Verhältnis von Blick- und Gegenblick, Autor und Publikum.
Der Titel der Ausstellung markierte nicht nur eine thematische Leitlinie. Er zeigte ebenso zahlreiche Bezugsfelder der Fotografie auf, die sie auf zahlreichen Um- und Abwegen in den letzten Jahren zu anderen künstlerischen Gattungen formuliert und fixiert hat. So spielen nicht nur neue Reproduktionstechniken eine Rolle für die Verbreitung fotografischer Bilder, sondern auch ihre Einbettung in Videos und skulpturalen Installationen. Videos von Björn Melhus, Christian Jankowski, Arnold von Wedemeyer und Pipilotti Rist beleuchten dieses ebenso exemplarisch wie Skulpturen und Objekte von Martin Honert, Michael Sailstorfer oder der Christoph Schlingensief-Klasse.
Bis zum 3. November 2013 waren im Neuen und Alten Studiensaal des Kupferstichkabinetts umfangreiche Werkgruppen von Hiroshi Sugimoto und Cordula Schmidt zu sehen. Ab dem 5. November 2013 präsentierten dann Katja Stuke und Oliver Sieber ihr Projekt „Fax from the Library“ zu Gast im Neuen Studiensaal.
Zur Ausstellung fand ein umfangreiches Begleitprogramm statt.
So wurden im Rahmen der Präsentation „Gäste“ zu Künstlergesprächen eingeladen, die im kommenden Halbjahr das Thema der Ausstellung und Impulse für die Sammlung verstärken.
Dienstag, 2. Juli 2013, 18 Uhr
Künstlergespräch: Boris Becker im Gespräch mit Dr. Sabine Maria Schmidt
Donnerstag, 4. Juli 2013, 13 Uhr
Kunstpause zu Eldena (Fotografie, 2009) von Martin Liebscher
Mittwoch, 24. Juli 2013, 10.15-11.45 Uhr
Kunstforum zu „Im Fokus!“
Dienstag, 27. August 2013, 18 Uhr
DIE JUNGEN Führung durch „Im Fokus!“
Dienstag, 3. September 2013, 18 Uhr
Künstlergespräch: Egbert Trogemann im Gespräch mit Dr. Sabine Maria Schmidt
Donnerstag, 5. September 2013: 13 Uhr
Kunstpause zu Substrat (Fotografie, 2004) von Thomas Ruff
Samstag, 12. Oktober 2013, 15 Uhr
Mitgliederakademie – Kunstgeschichte-Seminar: Kunst des 20. Jahrhunderts IX, Kunst heute, Teil 2: Videokunst
Dienstag, 5. November 2013, 18 Uhr
Künstlergespräch: Dr. Sabine Maria Schmidt fragt Katja Stuke und Oliver Sieber: Was ist ANT!FOTO? und spricht mit beiden über ihre Identitäten und fotografische Arbeit.
Donnerstag, 28. November 2013, 13 Uhr
Kunstpause: M+M, Panic Wall, Fotoinstallation für die Kunsthalle Bremen, 2013
mit Dr. Sabine Maria Schmidt
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Im Fokus!
Katja Stuke und Oliver Sieber
Fax from the Library – Do you never feel the need to be another, 2013
Eine Fotoinstallation im Neuen Studiensaal im Rahmen der Ausstellung
„Im Fokus! Zeitgenössische Fotografie und Videokunst aus der Sammlung“
Katja Stuke und Oliver Sieber: Fax from the Library, 2013, Neuer Studiensaal, Kunsthalle Bremen (Ausstellungsansicht), Foto: Oliver Sieber
Seit 1999 verbinden die beiden Fotokünstler Katja Stuke und Oliver Sieber unter verschiedenen „Marken“ und Projekten ihre gemeinsame Arbeit, darunter mit Magazinen wie Böhm und Ant!Foto oder virtuellen Ausstellungsräumen wie das ehemalige Böhm Handelszentrum, zu denen sie regelmäßig Fotografen und Videokünstler einluden. Stuke und Sieber sind nicht nur Fotografen, sondern ebenso als Kuratoren, Initiatoren, Multiplikatoren und vor allem Herausgeber von Künstlerbüchern tätig.
So verstehen sie nicht nur die Konzeption und Realisation von Fotografien, sondern ebenso das Editieren und Distribuieren von Bildern als wichtigen Teil verschiedenster Anwendungsbereiche von Fotografie. Wie werden welche Motive in welchem Zusammenhang verstanden und interpretiert? Wie beeinflusst das gestalterische Umfeld ein fotografisches Motiv, was passiert mit Bildern in unterschiedlichen Abfolgen, was definiert die Qualität und Bedeutung von Bildern? Was bedeutet der „Originalitätsbegriff“ im Zusammenhang der zahlreichen Aggregatzustände von Fotografie (als Abzug, gerahmtes Bild, Buchabbildung, Werbe- und Magazinbild, Diapositiv, Schwarz-Weiß-Kopie oder digitaler Datei).
In ihrem jüngsten Projekt Fax from the Library wurden Bilder aus ihrer umfangreichen Kunst- und Fotobuch-Bibliothek kopiert und die Beispiele historischer Fotografien oder wertgeschätzter Fotografen mit eigenen Arbeiten verknüpft. Das Künstlerduo verbindet das gemeinsame Interesse an Portraitfotografie. Oliver Sieber interessiert sich dabei vor allem für das Spannungsverhältnis von Identitätssuche und Gruppenzugehörigkeit, wie es sich in jugendlichen Subkulturen (z.B. in Japan) definiert. Katja Stuke untersucht medial verbreitete Portraits, die sie aus unterschiedlichen Umfeldern (Fernsehen, Internet, Zeitschriften) herausfiltert und überarbeitet. So zeigt sie z.B. Portraits von Teilnehmerinnen der Olympischen Spiele, die in tiefer Konzentration vor dem allerentscheidenden Moment ihrer geforderten Höchstleistung stehen. Die in der Fotografie enthaltenen Rasterstrukturen codieren die möglichen Ursprungsquellen der Bilder (z.B. aus dem Digitalfernsehen).
Dass Stuke und Sieber Fotografie als zeitgenössisches Kommunikationsinstrument verstehen, deutet auch ihr Titel an, der den Begriff der „Kopie“ durch den Begriff des „Faxes“ ersetzt.
Die Fotoinstallation für den Neuen Studiensaal der Kunsthalle Bremen ist auf drei Ebenen quadriert und organisiert. Die Kopien in Archivhüllen verstehen sich wie Fußnoten. Auf einer zweiten Ebene sind Fotoarbeiten als Abzüge wie für ein Buchlayout präsentiert. Die dritte Ebene zeigt eigene Arbeiten wiederum als Kopien, die wie abgezogene Fotografien (mit Fotoecken) ausgestellt werden. Alle drei Ebenen bleiben in einem komplexen Bezugsgeflecht möglicher Vergleichsabbildungen, Wiederholungen und Verdoppelungen aufeinander bezogen. Unsere klassischen Rezeptionsgewohnheiten von Fotografie stehen damit auf dem Prüfstand. Was Original, was Kopie sein soll, wird zunehmend unerklärbarer. Übrig bleibt ein Bild, dessen Funktion und Aussagekraft es in neuer Weise zu deuten gilt.
Sabine Maria Schmidt (Kuratorin)