Bilder über Bilder – ein kleiner Parcours diverser Beobachtungen zur Aneignung von Malerei
(publiziert in: Kat. Salon der Gegenwart, Hamburg 2018, S. 8 – 10.)
Der Malerei geht es doch prächtig, oder? Es passiert gerade überall so viel. Alles ist wichtig! Ständig habe ich das Gefühl, irgendwo etwas nicht mehr zu verstehen und zu übersehen. Warum? Weil das Internet schon alles erledigt, auch ohne mein Zutun. Nichts, was in endlosen Ketten durch die Speicher kopiert und geteilt wird, Fotos, Filme, Sprüche, Sticker, Programme, vor allem Bilder, Fotos von Personen, Dingen und Gemälden, Bilder über Bilder.
Kürzlich in Wien: Oberes Belvedere, Klimt-Saal, eine Szene wie aktuell vielerorts, in diesem Fall vor dem Gemälde „Der Kuss (Liebespaar)“ von 1908/1909. Es wird fotografiert, was das Zeug hält, doch nicht, um eine (weitere) Reproduktion des bereits millionenfach reproduzierten Bildes zu erstellen. Ständig nachströmende Besucher*Innen[1] posieren so nah als möglich vor dem Gemälde, um sich „in ihm“, „an ihm“ oder „mit dem“ Original fotografieren zu lassen. Fast alle Gemälde im Saal sind mittlerweile in breiten, verglasten Kästen geborgen, als würden sich die Gemälde tatsächlich – wie es seinerzeit Honoré de Balzac während einer fotografischen Portrait-Sitzung mit Felix Nadar befürchtet hatte – vor einem Substanzverlust angesichts der unzähligen fotografischen Reproduktionen schützen müssen.[2] Zugleich lässt sich eine fast religiös anmutende Bilderverehrung beobachten, die im profanen Akt des Selfie-Fotografierens in etwas Neo-Spirituelles transformiert wird. Das Noli-me-tangere des Originals ist über eine technisch-visuelle Aneignung sublimiert. Die rituelle Berührung eines „heiligen“ Bildwerks mit der Hand (einer Säule, einer heiligen Statue, eines Bildes, einer Reliquie etc.), die früher etwa eine Pilgerreise beendete, erfolgt nun in ihrer übertragenen Form mit dem Ersatzwerkzeug des Smartphone-Handys, die einen Höhepunkt einer touristischen Reise markiert. Der Akt des Reproduzierens (mit dem Handy) wird zugleich ein Akt der sensuellen, gar erotischen Aneignung. Nicht nur kompositorisch werden Bilder mit diesem Akt der Rezeption förmlich überschrieben. Bisweilen wirkt es, als würden sich die Besucherinnen in ihrem erotisierten Selfie-Posing als Aktmodelle imaginieren, die gerne ‚sicut‘ hätten gemalt werden wollen.[3] Immer wird mit und in diesen Aufnahmen die Aufmerksamkeit weg von dem Bild zum anwesenden Besucher gelenkt, der das Bild als Trophäe präsentiert.[4] Was die perfekte „Instagramability“ zahlreicher Gemälde Klimts übrigens auch ausmacht, ist nicht nur ihre detailreiche Finesse, die sich im .jpeg auf komprimierte Lineaturen reduzieren lässt, sondern auch ihr quadratisches Format.
Smartphone-Performerinnen wie Signe Pierce, Molly Soda oder Arvida Byström, haben das Posing vor Bildern, in Bildern, als Bilder schon längst zum Alltag ihrer neuen Instagram-Kunst gemacht, die sie zumindest als solch‘ eine behaupten. Ihre kompletten Gesten sind erotisch, „der Kuss“ gilt dem neuen Partner, der Kamera. „Reality is the medium that we capture in media”, „Space and time is the canvas”, “Since media can be manipulated, truth is an alternative fact”, hashtagged Signe Pierce in fragmentierten Posts über ihre “Reality Art”, bei der hemmungsloser Exhibitionismus zugleich als feministische Kampfansage gegen die Zensur der Algorithmen (bzw. ihrer Verwalter) verstanden werden soll.[5]
Manche sehen hierin eine aktuelle Avantgarde populärer Kultur. Andere bescheinigen diesen Phänomenen eine eher kurzlebige Dauer.
Wer malt, hat es heute wirklich nicht leicht, zu viel Ablenkung vom Bild durch Bilder.
Interessanterweise beschrieb Jutta Koether einmal die wichtigsten Ansprüche des deutschen Neo-Expressionismus als „Posing“, womit nicht der permanent-präsente Habitus der Protagonisten wie Martin Kippenberger oder Albert Oehlen gemeint war, sondern vor allem die mit ihm inhärenten malerischen großen Gesten. Mit ihren gestischen Pinselstrichen, durchscheinenden Farbfeldern, Zeichnungen weiblicher Körper, roter Farbe und lyrischen Aneignungen von Poesie‘ wurde ihr oft eine weibliche Gegenrolle zugeschrieben.[6] Jutta Koether, die in Hamburg lehrt, ist aber auch Punk. Sie vertritt eine künstlerische Praxis, deren Bandbreite über frühe kollaborative Musikprojekte bis zu Performances und Texten reicht. Die in den 1990er Jahren geschmiedeten Allianzen von Malerei mit Mode, Technik, Film, Popmusik oder Design sind in der Kunst der „digital natives“ oft untrennbar miteinander verknüpft; gar zur Unkenntlichkeit verschmolzen. Überhaupt geht die Malerei aktuell enge Verbindungen zu Performance und raumgreifenden Formaten wie Reliefs und Materialbildern ein. Bisweilen ist ein Gemälde dabei oft eher ein Requisit in einem größeren performativen Spektakel oder einer Gesamtinstallation.
In den Ausstellungsinstituten erhält das Werk von Künstlerinnen zunehmend eine stärker beachtete Rolle, wie man an großen Einzelausstellungen mit Carmen Herrera, Gabriele Münter, Anni Albers, Marlene Dumas/ Rosemarie Trockel oder Jutta Koether in diesem Jahr sehen kann. Dabei werden „Positionen“ neu- und wiederentdeckt, durchbrechen eine festbetonierte Geschichte weniger (und meist männlicher) Protagonisten. Die Marke „Malerfürst“ hat es aktuell eher schwer.[7] Doch bleibt die Frage: gibt es vielleicht aktuell gar keine Kunst, sondern nur mehr Künstler?
Ästhetische Gefechte innerhalb der Malerei sind aktuell überholt. Moralische Ansprüche hingegen wachsen. Zumindest formuliert auch das Publikum zunehmend, was ihm zumutbar erscheint oder nicht. Zugleich zeigt sich ein Interesse an einer Malerei, die nicht mehr lokale oder akademische Diskurse verdinglicht, sondern einen theoretisch differenzierten und historischen Ballast über Bord werfen kann: „Universal Pictures“. Dabei verbindet der Wunsch nach einem „Reset“ der Malerei verschiedene Generationen. Charline von Heyl, der in den Deichtorhallen in Hamburg jüngst eine große Einzelausstellung ausgerichtet war, formuliert in einem Videobeitrag sinngemäß, sie hätte vor zehn Jahren damit aufgehört, Malerei schwierig, provokativ, ironisch, zitierend oder konzeptuell anzulegen. Vielmehr ginge es ihr darum, das einzelne Tafelbild wieder zu einer sich selbst lesbaren Entität zu machen.‘[8]
Post-Ironie ist ja schon länger vorbei. Immer wichtiger wird hingegen die Materialität des Bildes. Gerade auch für die Post-Internet Generation, die zahlreiche Motive, Formen, Effekte, Farbverläufe, formale Gesten und Posen aus der digitalen Ästhetik schöpft; um sie materiell zu verdinglichen und dann fotografiert erneut ins Netz zu posten.
Von Beginn an warfen Bilder immer auch Fragen zu ihrer eigenen Beschaffenheit auf. Gerade in unserer mediatisierten Gesellschaft und globalisierten Welt zirkulieren omnipräsente Bilder als instabile und wandlungsfähige Vorlagen, die man nach Belieben verändern und nutzen kann, oder die als Meme eine facettenreiche Fortpflanzung erhalten. Das unerschöpfliche stilistische und motivische Formenrepertoire der Moderne kommt da schon länger gut zum Tragen. Als Aneignungsstrategie ist zudem die Übermalung, die Überschreibung eines Bildes zu einer sehr etablierten Methode der Malerei im 20. Jahrhundert geworden.[9] Künstler übermalen Bilder von anderen Künstlern, Amateurmalern oder alte Schinken von Flohmärkten und in Trödelläden (z.B. Martin Assig oder Markus Schinwald). Hinzu kommen Fotografien, historische Druckgrafiken und Bücher, Zeitungsseiten und auch Objekte. Die Motivationen sind dabei sehr unterschiedlich; es entstehen neue Bildbedeutungen oder die Bildhaftigkeit eines Motives wird selbst zum Thema. Fotografische Detailtreue wird mittels malerischer Gesten als Illusion enttarnt. Oder umgekehrt: Andere spielen mit einer perfekten fotografischen Illusion, materiellen Qualitäten, einem „Sieht so aus wie – Effekt“, der sich bewusst den Merkmalen des Kitsches annähert (den Autoren wie Hermann Broch oder Clement Greenberg beschrieben haben). Oft genügt es, ein schönes, statt ein gutes Gemälde zu machen. Schön meint hier, die Lust an der Farbe, der Materie, der Handarbeit, das Vergnügen am reinen Effekt oder der reinen Konstruktion zu zelebrieren.
Angesichts der Fülle an Bildern, die täglich mit technischen Apparaturen entstehen, wird künftig vielleicht derjenige ein diskutierter Künstler sein, der eben keine Bilder mehr macht, sondern aus dem System der Hyperproduktion herausbricht.
Der Malprozess selbst als autonome Komponente ästhetischen Gestaltens hingegen bleibt ein Wesenskern der Malerei: das Auftragen von Schicht für Schicht in Zeit und Fläche bzw. Zeit und Raum. Er wird erst recht zu einer Offenbarung, wenn seine Sichtbarkeit ursprünglich verborgen gehalten werden sollte. Was unsichtbar bleibt, was nicht gesehen wird, scheint kaum mehr zu existieren. Das gilt zumindest für die Dramaturgie einer flüchtigen Social Media- und Aufmerksamkeitskultur. In der Malerei beginnt gerade an diesem Punkt ein Moment freier Imagination.
Interessanterweise wird im kommenden Jahr, 2019, das kostbarste Bild der Niederlande vor den Augen der Besucher und den Augen der ganzen Welt genauestens unter die Lupe genommen werden. Die geplante Restaurierung von Rembrandts „Nachtwache“ soll in Echtzeit im Internet übertragen werden. Dafür werde ein mit neuster Technik ausgestattetes, gläsernes Atelier, ein Superkasten gebaut. Das „Geheimnis Rembrandt“ droht Schicht für Schicht gelüftet zu werden. Schade für die Malerei. Doch vielleicht interessant als neuer Hotspot für Selfies.
Sabine Maria Schmidt
(Düsseldorf, Oktober 2018)
[1] Im Folgenden wird im Text der Lesbarkeit willen immer nur ein exemplarisches Gender angefügt.
[2] Für Balzac bestand „jeder Körper aus ‚Spektren‘, die in winzig kleinen Schuppen übereinanderliegen. Jede Fotografie löst nun eine Schicht ab und bannt sie auf die Platte“; zit.nach Bernd Stiegler: Camille Silvy und Honoré de Balzac. Reproduktion als fotografische Wahlverwandtschaft, in: Rundbrief Fotografie, Vol. 24 (2017), S. 4-6. Auch Théophile Gautier teilte die Überzeugung, dass bei der Fotografie „eine gewisse fluide Übertragung“ stattfände; Gedanken, die später in der spiritistischen Fotografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufgenommen wurden.
[3] Tipps zum meist erotisierten Posing gibt es wieder bei zahlreichen Influcencerinnen, meist mit langen Haaren, gesenktem Kopf, einem Smartphone in der rechten und einem großen Coffee to-go in der linken Hand. Der ist im Museum momentan allerdings noch nicht erlaubt.
[4] Eine solche Trophäe gleich bei ihrer Versteigerung zu schreddern, konnte jüngst bei einer für die Medien inszenierten Aktion von Banksy bei Sotheby‘s verfolgt werden. Ebenso interessant wie die fein zerteilte, noch aus dem Rahmen hängende Zeichnung von Banksy war das Bild der direkt davor platzierten Auktionsteilnehmerinnen, die das Geschehen via Smartphone dokumentierten.
[5] Näheres hierzu Annika Meier: Signe Pierce: Reality Artist. Ich bin Pop und ich bin Kunst, Monopol-Magazin, 1.7. 2017; www.monopol-magazin.de/reality_artist-signe-pierce (Aufruf vom 15.10. 2018). Das Museum der bildenden Künste Leipzig präsentierte zu Beginn des Jahres 2018 in der Ausstellung „Virtual Normality“ verschiedene dieser Social Media Stars gar als „Netzkünstlerinnen 2.0“. Ein irreführender Begriff, denn von Utopien und Kunst im Cyberspace; einer Medienkunst, die nur im Netz existiert, wollen sie eher nichts mehr wissen. Was zählt, ist nicht wirklich ein Diskurs über ein Werk oder die Performance, sondern die Anzahl der Follower, die damit erreicht wird.
[6] „Sie Hat’s Getan – Ihr Nicht!“. Bennett Simpson über die Arbeiten von Jutta Koether, in: Texte zur Kunst, Heft Nr. 42, June 2001.
[7] Wie befremdlich diese Zeit uns heute erscheint, zeigt die bewusst schwülstige Ausstellung „Malerfürsten“in der Bundeskunsthalle in Bonn, 28. September 2018 – 27. Januar 2019.
[8] Charline van Heyl, Snake Eyes, Deichtorhallen Hamburg, 22. Juni – 23. September 2018. Videotrailer: https://www. deichtorhallen.de/ausstellung/charline-von-heyl (Aufruf vom 15. Oktober 2018)
[9] Immer gerne angeführt wird hier Robert Rauschenbergs berühmt gewordene Ausradierung einer Zeichnung von Willem de Kooning 1953. Arnulf Rainer übermalte u.a. 1958 und 1963 Arbeiten, die befreundete Künstler seiner Generation ihm überlassen hatten. Vom ursprünglichen Motiv blieb dabei gar nichts übrig, paradoxer wirkte die Autorschaft der Vorlagen umso stärker, als sie im Werktitel vermerkt wurde.