_ Eine rückblickende Betrachtung zu den Arbeiten von Regine Schumann
Seit sich die Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Primat der gegenstandsbezogenen Abbildhaftigkeit des Bildes emanzipiert hat, haben sich Wesen und die Funktion des abstrakten Bildes in unterschiedlichsten Arten weiterentwickelt: Als Komposition aus abstrakten Farben und Formen konnte die Malerei auf Metaphysisches verweisen (Kandinsky, Mondrian) oder zur Erscheinungsform eines Absoluten (Malewitsch) werden. In den abstrakten Gesten der Künstler des europäischen Informel wurden Zeugnisse des Subjektiven und Individuellen manifestiert (Wols, Hoehme, Mathieu u.a.). In der amerikanischen Farbfeldmalerei („Colour Field Painting“) suchte man der derart subjektivierten Handschrift mit systematischen und mechanischen Methoden entgegenzuarbeiten (Pollock, Philip Guston, Robert Motherwell, Clyfford Still u.a.). Künstler wie Barnett Newman oder Rothko schufen monumentale, quasi monochrome Bilder, die wiederum auf ein Absolutes verwiesen, den Betrachter dabei in den Bildraum hineinsogen, neue Wahrnehmungserfahrungen eröffneten und die romantische Ästhetik des Erhabenen weiterführten.
Bei der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Kompositionsformen in der Malerei rückte auch die materielle Beschaffenheit des Bild- bzw. Farbträgers zunehmend in den Mittelpunkt. Frank Stella enwickelte mit seinen „shaped canvases“ Bildträger, die die serielle Binnenstruktur der Malerei via ihrer Außenkontur determinierten. Ellsworth Kelly, Robert Mangold, Blinky Palermo führten neue Bildträger in die Malerei ein. Diese Richtung fand in den 70er und 80er Jahren mit den Vertretern des „radical painting“ und der „monochromen Malerei“ vielschichtige Ausprägungen, die – trotz des großen Revivals des Gegenständlichen – bis heute in der künstlerischen Produktion aktuell geblieben sind und noch immer weitergeführt werden.
Regine Schumanns Werk steht in der Tradition dieser höchst reduzierten und abstrahierten Malerei und setzt die utopische Suche der Farbfeldmaler nach dem erhaben Schönen fort. Ihre Arbeit entzieht sich der Kunsttheoretisierung. Ohne Pathos, ohne strenge Konzeptualisierung, politische, soziologische oder symbolische Aufladung entwickelt sie seit zehn Jahren abstrakte Kunstwerke als Bild-/Farbkörper und Rauminstallationen, die sich zunehmend vom klassischen „Tableau“ und der Gattung der Malerei entfernten und neue Farbraumvorstellungen erfahrbar machen.
‚Ihre Arbeiten gewinnen ihre Hauptinspiration aus dem Medium, in dem sie arbeiten. Das Aufregende ihrer Kunst scheint in erster Linie in der reinen Konzentration auf die Erfindung und Anordnung von Räumen, Oberflächen, Formen, Farben usw. zu liegen, unter Ausschluss all dessen, was nicht notwendigerweise mit diesen Faktoren zusammenhängt‘. Diese Äußerung, die Clement Greenberg[1] einmal sinngemäß über die klassischen Avantgardekünstler der frühen Moderne formulierte, trifft ebenso genau die Arbeit Schumanns.
Im Zentrum ihrer Arbeit stehen die Wechselwirkungen zwischen Farbe, Licht und Material. Seit Beginn der 90er Jahre arbeitet die Malerin primär mit fluoreszierenden Materialien wie Acrylglasplatten, synthetischen Polylightschnüren, fluoreszierenden Pigmenten und Papieren. Ihre Werke sind in vielschichtiger Weise „reaktiv“. Ihr Gehalt changiert nicht nur mit den Implikationen eines künstlerischen Produktionsprozesses oder den Wahrnehmungsprozessen der Betrachter, sie bedingen sich auch durch äußere Komponenten, dem unterschiedlichen Einfluss von Tageslicht und dem künstlichen Schwarzlicht, das die „Nachtseite“ der Werke zum Vorschein bringt.
Die hohe Leuchtkraft ihrer Bilder erfordert neue Termini und ein Nachsinnen über eine neue Definition von Farbe. Ganze Räume werden in neu empfundenes und zugleich vergängliches Licht getaucht. Fluoreszierende Farben, gleißende Bildflächen und -räume, kalte und sphärische Stimmungen treten auf, die sich kaum mehr mit vergangenen und bekannten Erscheinungen in der Gattung vergleichen lassen. Bewusst nimmt sie mit der Entscheidung für industriell vorgefertigte Produkte ein begrenztes Farbspektrum in Kauf, dass sie in zahlreichen Kombinationen und Variationen zu differenzieren weiß. Markant nutzt sie die Signalhaftigkeit der Farben, die oft durch den Alltagsgebrauch inhaltlich und assoziativ ganz anders belegt sind und nun in einen diffizilen, gestalterischen Prozess überführt werden.
Anläßlich der gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg 1999 wurde der Begriff „Chroma“ für die Beschreibung der neuen Farbigkeit innerhalb der Malerei und Skulptur vorgeschlagen, um die von jungen Künstlern eingesetzten synthetischen Stoffe und Farbphänomene zu beschreiben, die sich mit herkömmlicher Terminologie nur noch schwer umfassen lassen.[2] „Chroma“ bezeichnete im Griechischen zunächst „Haut“ und „Hautfarbe“, dann im erweiterten Sinne auch „Farbe“. Schließlich umfasste der Begriff auch das auratische Phänomen „Farbe“, dass das Leuchten, Strahlen und Schillern miteinschließt. Zwar kannten die Griechen noch keine leuchtstarken Farben (sie sind Erfindungen des 19. und 20. Jahrhunderts), doch scheint es, als ziele der Begriff eben gerade auf jene synthetisch, strahlende, oft künstlich wirkende Farbigkeit, für die die Begriffe des „Coleur“ oder des „Farbtones“ heute nicht mehr ausreichend scheinen. Der Begriff scheint auch unter dem Aspekt erweiternd, dass er das bedingte Verhaftetsein materieller Oberflächen (Haut) mit ihrer Farbwirkung berücksichtigt, ein Aspekt, der bei den Arbeiten Schumanns herauszuheben ist.
Ihre Werke bewegen sich zwischen Abstraktionen, konkreten Dingen und sphärischen Erscheinungen einer immateriellen, zugleich ungemein, oft auch unbequem sinnlichen Qualität. Sie existieren als Schichtungen glatter Flächen, bisweilen mit folienhafter Transparenz, als Gitterstrukturen, chaotisch anmutender Häufungen, poetischer Assemblagen und streng formierter Farbfeldreihen. Es entstehen Farbflächen, die aus den oft genau vorkalkulierten Bildformaten ausbrechen und in den Umraum hinüberstrahlen und aus ihrem körperhaften Dasein sich in eine immaterielle Welt verselbständigen.
Im folgenden sollen exemplarische Arbeiten aus den verschiedenen Werkgruppen der Künstlerin genauer betrachtet werden. Zu diesen gehören wie vorab erwähnt die Acrylglasarbeiten, die Lumiluxpigmentmalerei, die Häkelarbeiten, raumgreifende Installationen und architekturbezogene Auftragsarbeiten. Vorab werden zwei frühe raumgreifende Arbeiten hervorgehoben, die wegweisend für die weitere künstlerische Entwicklung der letzten Dekade wurden und wesentliche Elemente ihrer künstlerischen Fragestellungen vorwegnehmen.
1991 entstand für eine Münsteraner Galerie die Arbeit „Godet“ (Abb. 1). Eine oben schmale und nach unten wuchtig sich ausladende Skulptur aus schwarzem Webpelz hing von der Decke annähernd auf den Boden herunter, direkt unter einer Stuckverzierung angebracht. Die Arbeit bestand aus acht zusammengenähten Segmenten des Stoffes, die oben und unten durch Fieberglasringe eingefasst und verspannt waren. Durch die Hängung verstärkte sich die Form eines Kegelstumpfes, der einem umgedrehten Trichter ähnelte oder auch die Assoziation eines länglichen Blütenkelches und eines tönernen Trompetentrichters auslöste. Der Titel der Arbeit führt auf das gleichnamige frz. Schnittmuster für den „Godet-Rock“ zurück, der gegen Ende des 19. Jhdts. en vogue war (zu sehen bei den Damen auf Bildern des frz. Impressionismus). Die Nutzung von Handarbeits-Techniken für die skulpturale und bildähnliche Produktion, hier das Nähen, sollte wegweisend für die Arbeiten Schumanns werden. „Godet“ verdankt sich gleichzeitig einer verwandtschaftlichen Nachfolge surrealistischer Traditionen, die Nahtkanten, Nähmaschinen und verhüllende Stoffe in die Objektästhetik einführten, quasi zu einer Objekt-Ikone wurde Meret Oppenheims „Frühstück im Pelz“ aus dem Jahre 1936.
Die Hängung als Möglichkeit der Anbringung einer Skulptur ist in dieser Arbeit unmittelbar in die Konzeption mit einbezogen. Sie gehört zu den konzeptuellen und ästhetischen Strategien der 70er Jahre, die Regine Schumann in ihrer „erweiterten Malerei“ umformuliert und neu kontextualisiert.
Die „Hängung“ determinierte die Form, die technische Anbringung blieb in der Arbeit zudem offengelegt. Das war wichtig, da hiermit die Illusion, die Arbeit schwebe, gebrochen wurde. Die Arbeit, nur 3 Kilo schwer, bewegte sich leicht bei minimalem Luftzug. Diese tatsächliche Leichtigkeit stand wiederum in Kontrast zu Form und Farbe. Das erdangezogene, tiefe Schwarz suggerierte den Eindruck von Schwere.
Der Einbezug bildhauerischer Prinzipien wie Hängen, Legen, Arrangieren, Verspannen, Umhüllen ist charakteristisch für die Arbeit Regine Schumanns und führt das Denken in Farben und Farbräumen in eine räumlich erfahrbare Plastizität über. Materialität, taktile Qualität, Verhaltensweisen, Materialeigenschaften wie Weichheit oder Elastizität, die Quantität des Materiellen bleiben als Ausgangspunkt in ihren Werken immer erhalten, damit unterscheidet sie sich grundlegend von den manifesten Positionen von Künstlern wie James Turrell, Dan Flavin oder Keith Sonnier. Das Auratische, die Strahlenkraft geht aus ihren Arbeiten immer aus dem Statischen hervor.
Das Licht (hier noch ausschließlich Tageslicht) spielte bei „Godet“ bereits eine besondere Rolle. In unterschiedlichen Lichtsituationen und von unterschiedlichen Standpunkten aus wurden die Nahtkanten sichtbar, ebenso wie helle Stellen (quasi lichte Schatten) auf der samtartig wirkenden Oberfläche, andererseits verschwammen einzelne Segmente zu einer einzigen Fläche, nur die Außenkontur der gesamten Gestalt ermöglichte eine sichere Orientierung. Diese Irritationen in der Wahrnehmung wurden noch verstärkt, wenn man der sinnlichen Einladung zur Berührung Folge leisten mochte, die das weiche, plastische Material unweigerlich aussprach. Liess man sich auf den etwas unheimlichen Sog des Schwarzen ein, wussten die tastenden Finger zunächst gar nicht so genau, wo der Pelz eigentlich anfing und tasteten sich in ein Dunkel hinein, das dann mit einem weichen Flausch belohnte.
Die Arbeit ist in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „Raumerlebnis“ der Künstlerin entstanden, auf das sich die Künstlerin bei allen raumbezogenen Arbeiten beruft. Die Proportionen der Skulptur waren sorgfältig auf den Raum abgestimmt. Der Galerieraum hatte einige Sonderheiten, wie den leicht trapezoiden Grundriss, eine sich wölbende Wand, eine offene Fensterfront, die Stuckverzierung an der Decke in dem sonst recht sachlich-nüchternen Raum; Elemente, die eher „gegeneinander“ als miteinander arbeiteten. Diesen Charakter, den Regine Schumann als „Raumklang“ bezeichnet, setzte sie eine geschlossene, in-sich-ruhende Form gegenüber, die in ihrer Dominanz den Raum neu bestimmte und ihm einen neuen „Raumklang“ zuwies. Es ist also nicht allein ein Raumbezug, der durch die Korrespondenz formaler Kriterien von Raum und Objekt sich auszeichnen sollte.
In einem Vorgespräch sagte mir die Künstlerin damals, nachdem sie den Raum gesehen hatte, wollte sie eine „Glocke aus Webpelz“ machen. Greifen wir die Assoziation einer Glocke auf, so wird ja unmittelbar auf einen tönenden, klingenden Gegenstand, ein Instrument verwiesen, dass akustische Eindrücke in Erinnerung ruft. Resonanz ist von der Fähigkeit des betreffenden Körpers abhängig, die Schwingungen eines anderen Körpers in sich aufzunehmen, so kann auch Luft zum Mitschwingen gebracht werden. Doch diese Arbeit saugte alle Schwingungen in sich auf, ebenso wie sie alle akustischen Verhältnisse im Raum bestimmte. Sie verweigerte jegliche Klangwellenreflektion, wurde vielmehr zum Schalldämpfer, Antipode des Echos. Die Skulptur veränderte die Raumakustik. Auch in diesem Sinne hatte der Raum einen neuen „Klang“ erhalten. Die Glocke selbst funktionierte wie eine „lautlose Klang-Skulptur“.
Neben der Hängung und dem Verspannen zeichnet sich bereits die oben angesprochene Strategie des Verhüllens und Umspannens in der Arbeit aus, die für die folgenden Arbeiten von Schumann wichtig werden sollte. Die Skulptur „Godet“ hat mit einer Glocke so viel Ähnlichkeit wie ein Violinkasten mit einer Violine. Sie ist Negativform, eine Hülle, ein weicher, lichtundurchlässiger Schutzmantel. Im gleichen Jahr entstanden Bodenskulpturen, bei denen sie lange Wachsstäbe mit Hüllen aus Neonchiffon ummantelte, die mit Reißverschlüssen verschlossen wurden. Diese Objekte legten ein Prinzip vor, dass sie nachfolgend in großen Rauminstallationen übertragen sollte, auf die noch später eingegangen wird.
Eine Exkursion: Rom. Die Kunstschätze des Vatikans belegen heute den Großteil der 1400 Räume der Palazzi Vaticani. Den Besucher führt ein festgeschriebener Besichtigungsrundgang über 7 km an annähernd 50 000 Ausstellungsstücken vorbei, ebenso durch einen Teil des Vatikanpalastes, so dass er sich en passant an den Stanzen und Loggien Raffaels, der Sixtinischen Kapelle, den Papstkapellen, dem Appartamento Borgia und weiterem goutieren kann. Diesem Kunstgenuss und Ambiente hochwertiger Originale nicht genug, gliedert sich ein reichhaltiger Devotionalienhandel, eine redundante Souvenir- und Kitschindustrie an.
Während ihres Romaufenthaltes 1991 war Regine Schumann mit einer derartigen „Industrie von Massenkultur“ konfrontiert und insbesondere über die Handhabung überrascht, mit der auf dem Vatikangelände mit religiösen Artikeln gehandelt wurde. So befanden sich die in ihrer Installation „aurea“ zugrundeliegenden Plastikfiguren, die den Papst und die Madonna repräsentieren, übereinandergehäuft wie Eisenwarenartikel (z.B. Schrauben) in großen Kartons und wurden in Tausenderauflagen reproduziert verkauft. Ihren ursprünglichen spirituellen und künstlerischen Wert hatten die Stereotypen offensichtlich schon längst verloren. Die Künstlerin nutzte sie als plastisches Material.
„Aurea“ (Abb. 2) wurde erstmals 1991 in der Olivenmühle in Olevano Romano/Italien präsentiert (in diesem Ort hatte die Künstlerin zuvor jüngst abstrakte Freskomalereien geschaffen). Die Arbeit besteht aus 320 fluoreszierenden Figuren, die auf dem Boden zu einem abstrahierten Umriss einer altchristlichen Basilika mit kreuzförmigen Grundriss angeordnet sind.
Erstmals spielte das künstliche Licht eine wesentliche Rolle in ihrer Installation, es gehörte neben den Plastikfiguren und ihrer Konfigurierung zu den unmittelbaren „Materialien“. Die Beleuchtung wird im Stundentakt ein- und ausgeschaltet. Direkt nach Auslöschen des Lichtes schien plötzlich der Fußboden zu verschwinden, der Betrachter verlor nahezu den Boden unter den Füßen und für einen Moment das räumliche Bezugssystem. Die Figuren fluoreszierten, auch sie hatten sich von ihren bodenständigen roten bzw. blauen Sockeln gelöst. Das gespeicherte Licht entmaterialisierte sie, der Zeichencharakter der Anordnung dominierte. Ein Kreuz erstrahlte, quasi mit wiederbelebter symbolischer Aussagekraft, trat es aus dem räumlichen Kontext hervor. Der Raum, nun dunkel und umkonturiert, war ein auratischer Raum geworden.
Mit einem Minimum an plastischer Setzung und Material gelang mit „Aurea“ ein plastischer Raumeingriff, der eine Fülle interpretatorischer Bezugsebenen andeutet, wie das Verhältnis von Kunst und Kitsch oder Sakralraum und Kunstraum. Der Titel reminisziert nicht zuletzt an die „Aureole“, eine traditionelle Darstellungsform des himmlischen Lichtes in der christlichen Bildkunst, die sich zur Auszeichnung göttlicher oder heiliger Personen ausgebildet hat. Sie hat hier eine plastische, zeitgenössische Übersetzung gefunden, in der ein ironischer Impetus leise mitschwingt.
Die Arbeit nimmt eine Sonderstellung im Werkkontext ein, da die Künstlerin nachfolgend auf konkrete, gegenstandsbezogene oder gar symbolische Hinweise gänzlich verzichten wird. Mit der Installation „In donker licht“ (2000, Abb. 4) greift sie mit einem geometrisierten Gittersystem in den durch vier quadratische Pfeiler strukturierten Ausstellungsraum der Academie voor schone Kunsten in Sint-Niklaas (Belgien) ein. Fluoreszierende Vierkantstangen in unterschiedlichen Farben von neongelb, neongrün, orangenen, rosafarbenen und blauen Tönen schaffen eine Zone, die wie ein elektrifiziertes Energiefeld erscheint. Die Schichtungen der Stäbe und die Farbkombinationen schaffen eine spannungsgeladene, gestaffelte, dreidimensionale Räumlichkeit, die sogartig immer wieder zur Zweidimensionalität zurückgezogen zu werden scheint.
Der streng geometrischen Anordnung ist mit der Bodenarbeit „Network“ von 1998 (Abb. 5) ein formal unkontrolliertes, sich selbst organisierendes Knäuel gehäkelter Polylightschnüren entgegengesetzt. Wie ein überdimensioniertes, poppiges Fischernetz liegt die großmaschig gehäkelte Arbeit auf dem Fußboden und entfaltet im diffusen Licht ein merkwürdig sich verwandelndes „Chroma“.
Die Häkelarbeiten aus Polylightschnüren, die seit 1997 entstehen, gehören zu den faszinierendsten Arbeiten von Regine Schumann. Die oft großflächig gearbeiteten Stücke werden sorgfältig gefaltet zu „Glühfeldern“ (1997) ausgelegt, zu monochromen „Meditationstafeln“ als Wandarbeiten gehängt oder zu textilartigen Verspannungen in architektonische Situationen eingebunden. Wie eine lapidare Häkeldecke im resteverwertenden Streifenlook gebärdet sich „Slight“ von 1999 (Abb. 6). Was tagsüber wie eine rosa-gelb leuchtende Kunstlounge-Sitzecke daherkommt, wandelt sich im Schwarzlicht zu einer völlig anderen Arbeit. Nicht nur die Farben verändern sich, auch das Material erscheint immer weniger greifbar und real. Diese Arbeiten manifestieren zugleich die „Zeitgenossenschaft“ Regine Schumanns. Zeitlose Abstraktion vermischt sich hier mit Erinnerungen an kollektive Pop-Ikonographie, Assoziationen an Science-Fiction-, Futureästhetik, Popkultur und Mode.
Für die langgestreckte Wandfläche des Foyers der Rückversicherungsgesellschaft Zürich am Guisan Quai 26 entwickelte Regine Schumann zwei großformatige Wandbilder, die die extreme breit gestreckte Wandfläche hervorheben und zugleich konterkarieren (Abb. 7). Durch die Häkeltechnik ergeben sich, je nach Blickwinkel, zwei Farbebenen. Eine der Farbflächen schimmert vordergründig rosa und ist durch eine transparente Farbstimmung überlagert, die andere erscheint primär orange und wird von einem weißen Schimmer begleitet. Diese Überlagerungen erzeugen malerische Tiefe, Formspannung und Farbkraft verdichten sich zu batterieartig geladenen, energieausstrahlenden Feldern. Verstärkt wird dieser Eindruck auch hier durch das Hinzuschalten von UV-Licht: die Oberfläche der Schnüre wirkt dann samtig, um das Maschengitter vibriert eine Farbaura. Die im Diffusen immer stärker werdende Leuchtkraft der Farbkörper entfaltet eine große immaterielle Wirkung und läßt den Raum zunehmend wegtauchen. Im Zwielicht offenbaren die Arbeiten ihre chamäleonartige Wandlungsfähigkeit. Nichts bleibt, wie es am Tage erscheint.
In allen Arbeiten thematisiert Regine Schumann einen langdauernden Bildwerdungsprozess, der sich hier nicht mehr durch einen kreativen Akt des Autoren bedingt, sondern verselbständigt ist. Dieser Wandlungsprozess ist nur in der Dauer erfahrbar, die auch dem Betrachter abverlangt ist. Er erinnert zugleich an ein Animationsverfahren aus der Filmproduktion, dem „Keying“. Das ist ein Prozess, bei dem ein Objekt vom Hintergrund extrahiert wird, um später mit einem anderen Background kombiniert zu werden. Wird Schwarzlicht eingesetzt, erscheint sich der Raum in eine einzige „Blue Box“, auch „Chroma Key“(!) genannt, zu verwandeln, aus dem das Objekt – nun ortlos – herausgelöst werden kann.
„Farbe ist eine Sinnesempfindung, die im Regelfall von der Strahlung ausgelöst wird, die von den (selbst leuchtenden oder beleuchteten nicht selbst leuchtenden) Körpern in das Auge gelangt und hier von spezifischen Sinneszellen in Nervenerregung umgewandelt wird, die ihrerseits zum Gehirn geleitet und dort als Farbe ins Bewusstsein des Menschen tritt. Fluoreszierende Proben sind Objekte, die die Strahlung, die sie bei Bestrahlung mit Licht oder nicht sichtbarer Strahlung (vor allem des Ultraviolett-Gebietes) absorbieren, nicht nur in Wärme umwandeln wie die normalen Körperfarben, sondern deren Moleküle durch die absorbierte Strahlung zum Leuchten angeregt werden, d.h. sichtbare Strahlung aussenden. Eine fluoreszierende Farbfläche ist durch folgende drei Spektralkurven zu kennzeichnen: eine passive Remissionskurve: der zurückgeworfende Anteil der auftreffenden Strahlung; eine aktive Remissionskurve: das Selbstleuchten; und eine Anregungsfunktion: Emission aufgrund der Strahlungsleistung, die im Anregungsgebiet einfällt. Die Kurve der scheinbaren Remission, die ja für den Farbreiz maßgeblich ist, hängt von der beleuchtenden Lichtart ab.“[3]
Unter Tagesleuchtfarben versteht man fluoreszierende Farben, welche bereits durch das normale Tageslicht zum Leuchten angeregt werden. Schwarzlicht bringt UV-aktive Farben zum Leuchten.
Kommen fluoreszierende Farben in der Natur vor, gilt dieses nicht für das Schwarzlicht. Das „Künstliche“, von dem Regine Schumann fasziniert ist, betrifft primär den Bereich sogenannter „künstlicher Materialien“, die technisch produziert werden.[4] Wir nehmen ihre Künstlichkeit wahr, sie reagieren unter einer apparativ festgelegten vorbestimmten Situation (Bestrahlung durch Schwarzlicht). Doch führen uns die Arbeiten nicht in „künstliche Welten“. Ihre Wahrnehmung und Erlebbarkeit bedingt sich nicht durch eine apparrativ-vermittelte. Alles an ihren Arbeiten bleibt real, körperbezogen, wahrnehmbar und spürbar. Wir sind Ihnen leibhaftig und handelungsfähig ausgesetzt. Sie wiederum unterliegen einer längerdauernden, aber endlichen Prozesshaftigkeit. Ihre Werke füllen sich – einem natürlichen Kreislauf gleich – mit Energie auf, wachsen heran und verblühen, damit sich der Zyklus im Rhythmus von Tag- und Nachtgleichen endlos wiederholen kann.
Eine weitere Werkgruppe Regine Schumanns bilden die Installationen mit fluroeszierenden Stoffen und Raumverspannungen. Auf der Suche nach neuen Farbträgern entdeckte die Künstlerin Wachs, dann den poppig-fluoreszierenden Bikini-Stoff und später das Acrylglas. Mit dem elastischen, farbintensiven Stoffen wurden mit einfachen Gesten und umso wirkmächtiger Räume vollständig verwandelt, vorhandene Säulen oder Pfeiler für Umspannungen genutzt, Durchgänge und Räume blockiert, oder großformatige Bildkörper in den Raum gesetzt, die architektonische Bezüge neu strukturierten oder herausarbeiteten. Eine der ersten Installationen dieser Gruppe war „Purpur“ (1993) für das Ludwigforum in Aachen, bei der sie eine rosafarbene Stoffverspannung nutzte. Neben dem Bikinistoff setzte Schumann auch PVC-Planen ein. In der Arbeit „Freischwimmer“ 1996 (Abb. 8) spannte sich grün fluoreszierender Stoff, mit Reißverschlüssen zusammengehalten, um drei vorhandene Rohre wie ein zu eng sitzender, zwickender Schwimmbody um zu weich ausgepolsterte Hüften. Keilrahmen, Hüftknochen bzw. Rückenwirbeln gleich trat die Körperlichkeit der Rohre aus dem eng gespannten Stoff hervor.
Schwarzlicht setzte Regine Schumann bei ihren Arbeiten erstmals in der Arbeit „rot sehen“ 1998/99 ein. Die Installation „Goldrausch“ (2000, Abb. 9) in der Eingangshalle des Hessischen Rundfunks in Frankfurt verweist mit ihrem Titel sowohl auf die goldfarbenen Säulen im Innern des denkmalgeschützen Rundhauses sowie auf den Zustand, in den die Objekte den Zuschauer versetzen können. Neongelber Bikinistoff wurde hier um zwei Säulen gespannt. Obgleich auf ein doppeltes Ausmaß gedehnt, wirkt der Stoff flächig und weiß. Auch hier wird die Architektur zum materiellen Bestandteil des Objekts, das zwei Stockwerke durchzieht und diese visuell wieder zusammenschließt. Der Klarheit und Starrheit der architektonischen Umgebung wird ein weich-fließender Farbkörper entgegengesetzt, der den ganzen Raum in Farbe taucht und in Schwingung versetzt, eine nahezu barock anmutende Inszenierung. Zugleich wird hier über das Monumentale ein von amerikanischen Malern wie Barnett Newman und Mark Rothko entwickeltes Farbraumerlebnis neu formuliert.
In ihrer Ausstellung in der Kölner Artothek (2000) drapierte Regine Schumann vier strukturierte ostergrün leuchtende Stoffbahnen über das Geländer der Empore und verwandelte den Raum in eine Art „meditative Kapelle“ (Abb. 10). Die glatte Fläche des Stoffes hing schwer in den Raum hinein. Betrat man die Empore, zeigte sich, dass die ausgebreiteten Stücke nur einen kleinen Teil der Stoffmasse ausmachte, da die noch verbliebenen 35 Meter hinter der Brüstung zu einem weichen Stoffhaufen gebündelt blieb. In der Ausstellung war der glatten Oberfläche des Stoffes die taktile Struktur einer grobmaschig gehäkelten, sorgfältig gefalteten Decke aus Polylightschnüren, auf dem Boden arrangiert, entgegengesetzt.
In den Arbeiten mit Acrylglasplatten bleibt Regine Schumann am stärksten dem „Tableau-Prinzip“ und der Farbfeldmalerei verhaftet. Verschiedenfarbige Platten werden zu klar kontrapunktierenden bisweilen seriellen Farbsystemen angeordnet. Diese Systeme lassen sich in ihrer malerischen Qualität auch wieder in einen funktionalen Kontext überführen, so etwa in einem Gestaltungentwurf für die Tiefgarage des „stilwerk Berlin“, für das sie ein „colourlightsystem“ entwickelte. Die signalhaften, fluoreszierenden Farbbänder schaffen nicht nur ein markantes Orientierungssystem, sondern füllen den durch Lichtbänder erhellten Raum mit Farbe und Helligkeit und verwandeln einen lapidar pragmatischen Unort in einen modernen, ästhetisierten Raum der Passage.
Acrylglasplatten dienen jüngst auch als Farbträger unscheinbar wirkender Farbluxpigmente wie in der Arbeit „Im Zwielicht“ von 1999. Das Bild, das sich bei Tageslicht als monochromes Ton in Ton-Bild präsentiert, offenbart bei Bestrahlung mit Schwarzlicht, eine inhärente Farbigkeit. Bleibt die Körperfarbe des Pigmentes bei Tage weiß, entwickelt sich ein Rosé bei Schwarzlichtbeleuchtung, das bei eintretender Dunkelheit immer intensiver zu leuchten beginnt und sich bishin zu einem feurigen Orange verwandelt. So wie die Zeit und der Raum, ist auch die Farbe relativ.
Durch die Sandwich-Schichtung verschiedenfarbiger Acrylglasplatten entstehen unzählig variierbare Farbkommunikationen. Regine Schumann mischt die Farben nicht auf einer Palette, sondern durch die transparenten, farbgetränkten Bildträger selbst. In einigen Arbeiten stanzt sie Löcher in die Oberflächen, die die diffuse Räumlichkeit der mehrfach geschichteten Platten und ihre durch Überlagerung bedingten chromatischen Farbveränderungen noch verstärken. Wie fotografische Blenden bündeln diese Ausstanzungen das Licht und führen auf Schärfe- und Unschärferelationen der Formen und der Farbigkeit hin. In vielen Arbeiten werden die transluziden Platten gar zu Bildträgern „epiphaner Fotografien“, bei denen das Tageslicht gespiegelte Bilder in die Acrylplatten zeichnet (Abb. 11).
Regine Schumanns Werke suchen eine Neudefinition von Farbe. Ihre Interventionen sind formal klar und pointiert und entwickeln eine ganz eigene Ästhetik. Sie verwandeln Raum, indem sie den architektonischen Raumvorstellungen eine Farbraumvorstellung hinzufügen, die immer Ausgangspunkt ihrer Ideen ist. Vielleicht erklärt das die gelungene Synthese vieler ihrer Arbeiten mit bereits festgelegten Raumsituationen und die „friedlich-kooperative“ Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Architekten und Bauherren, die der Bildenden Kunst bekanntlich eher argwöhnisch gegenüberstehen. Auch wenn sie skulpturale und architektonische Strategien in ihre Arbeit integriert, ist und bleibt sie als Komponistin von Chroma und Farbräumen dabei durch und durch Malerin.
Sabine Maria Schmidt
[1] Harrison, Ch.; Wood, P. (Hrsg.): Art in Theory 1900-1990. An Anthology of Changing Ideas, Blackwell: Oxford, Cambridge/MA, 1992, S. 532.)
[2] „Chroma. Malerei der neunziger Jahre“, Kunsthalle Nürnberg 1998
[3] Farbglossar, www.zwiler.de/glossary/begriffe-f.html
[4] „Künstlichkeit“ meinte in der Geschichte der Kunst gemeinhin die perfekte artifizielle Illusion als getreues Abbild des Natürlichen, von der die Künstlerlegende der griechischen Maler und Bildhauer Zeuxis und Parrhasias erzählt, die lange als Dogma eines Abbildungszwanges fungierte, dem der wahre große Künstler zu entsprechen habe. Von diesem Primat hat sich die abstrakte Kunst endgültig befreit.
Die Definition „künstlich ist, was nicht natürlich ist“, reicht heute kaum mehr aus. Im Zeitalter der Allgegenwart von Fotografie, der massenhaft verbreiteten Druckerzeugnisse, der Flut der Fernsehbilder und Computersimulationen, die keine Vor-Bilder mehr aus der „eigentlichen Realtität“ brauchen, um sich selbst „authentisch“ und „natürlich“ zu simulieren, ist der Raum, in dem sich Kunst neben oder zusammen mit der Illusion ansiedeln kann, verschwindend eng geworden. In einem im Internet publizierten Konzeptpapier zum Luxemburger Kongreß „Wie wird Künstlichkeit wirklich? (22. u. 23. September) hieß es treffend: „Man handelt nicht mehr nur in Bezug auf die objektive, sondern auch auf jene künstliche Welt, welche unsere Technik auf verschiedenen Erfahrungsebenen- einschließlich der genetischen – zu errichten vermag. Unsere Welt wird immer komplexer, sie ist nicht nur Natur sondern auch Künstlichkeit.“ Nur angerissen werden kann hier – um nicht zu weit abzuschweifen – die Betrachtung des Begriffes „Kybernetik“, der seit fünfzig Jahren in Umlauf ist und mittlerweile synonym die Vorstellungen künstlicher Umgebungen, künstlicher Intelligenz, künstlicher Gesellschaften und künstlicher Kulturen umfasst. „Kybernetische Medien setzen die Bedeutung des Künstlichen auf die Tagesordnung aller Gesellschaften. Durch sie wechseln die Leitbilder der Kommunikation und Verständigung. Werte körperlicher Anwesenheit geraten unter Konkurrenzdruck mit unkörperlichen Anwesenheitsformen; Territorien und ihre nationalstaatlichen Rechtsordnungen stehen unter Anpassungsdruck an nicht-territoriale weltweite Prozesse. Fernvertrauen überlagert die Bedeutung von persönlichem Vertrauen.“