Julius Hofmann – Might of Young Engines
(Text für die Eröffnung der Ausstellung des Künstlers in der Galerie Kleindienst, Leipzig, September 2015, noch nicht publiziert)
Dass gerade Künstlerinnen und Künstler einer jüngeren Generation Computerspiele, mit denen sie aufgewachsen sind, zunehmend als Inspirationsquellen für ihre Werke einbeziehen, ist seit längerem zu beobachten. Junge Film- und Videokünstler beziehen sich nicht mehr primär auf Film und Fernsehen als klassische Referenzmedien, sondern nutzen Material aus dem Internet als unendliche Fundgrube einer neuen Remix-Kultur. Explizit künstlerische Interventionen in Computerspielen sind allerdings auch im 21. Jahrhundert noch selten. Cory Arcangel beispielsweise „hackte“ 2002 den Klassiker „Super Mario“ in die Unspielbarkeit, eliminierte alle Elemente bis auf den algorithmischen Zug der Wolken. „Second Life“ ist noch immer virtuelle Plattform zahlreicher künstlerischer Aktionen, allerdings ohne systemexterne Aufmerksamkeit. Bill Viola arbeitet seit vielen Jahren mit einem Team des »Game Innovation Lab« der University of Southern California an dem Computerspiel „The Night Journey“ – als „ongoing-project“; um nur wenige Beispiele zu nennen.
Doch wie gehen Maler mit diesem Medium um? Viele der Game-Heroen und Szenerien sind in ein kollektives Bildrepertoire eingegangen und auch Betrachtern bekannt, die nie eine Spielkonsole berührt haben.
Auch Julius Hofmanns Malerei schöpft aus diesem Repertoire, doch setzt er sich als Maler dabei weit komplexer mit intermedialen Fragestellungen ein und fragt nicht zuletzt, wie Malerei auf die digitale Ästhetik einwirken könnte. Seine hybride, sowohl poetisch als auch technisch aufgeladene Bildersprache nimmt einen höchst eigenwilligen Platz ein. Sie provoziert zwar unzählige Bezugsgeflechte zu Malerei Film- und Medienkunst, lässt sich dabei aber nicht präzise decodieren. Dass zitiert wird, bleibt deutlich, was zitiert wird (ob nun Tarkowskij oder Renoir, David Lynch oder Dario Argento, El Greco oder Tom of Finland-Comics) ist zwar biographisch interessant, verweist aber nicht auf ästhetische oder philosophische Grabenkämpfe.
Ebenso markant ist die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Paradigmenwechsel einer Ästhetik digitaler Medien und der analogen Tradition der Malerei. Bereits während seiner Studienzeit entstehen Gemälde und erste Animationsfilme parallel und sind motivisch, thematisch und ästhetisch unmittelbar miteinander verflochten, laden sich gegenseitig auf. Malerische Strukturen werden in die Filme übertragen, die Logik digitaler Raumkonstruktionen und Oberflächentexturen wieder in die Malerei transformiert. Dabei kämpft Hofmann sowohl gegen den Pathos des Malerischen als auch die Kühle digitaler Oberflächenperfektion an und erprobt in seinen Bildern immer wieder neue Ansätze „ästhetischer Verwüstung“.
Anders als bei den Gemälden scheint die Lektüre der Filme Hofmanns ohne ein gewisses technisches Verständnis zunächst schwierig. Gleich der Vorspann des neuen Films „Might of Young Engines“ verweist mit seiner Low-Tech-Sound Spur und der verpixelten Titelei auf Retro-Game-Ästhetik. (Er zitiert auch den Titel von Computerspielen wie „Might of Magic“). Doch schnell wechseln die Szenerien.
Offen bleibt, ob Hofmann hier digitales Material kopiert, remixed, hackt oder nachbaut. Was sich zunächst als Streaming-Fehler darstellt, wird bald als kalkuliertes Stilmittel erkennbar. Hofmann verzichtet auf die ausgefeilten technischen Möglichkeiten immer perfekter gewordener Bildprogramme, wie Farbabstimmungen durch Interpolationen, Texture Baking oder Bump Mapping, um die Illusion von Oberflächenspezifika zu erzeugen oder den Detailgrad von Objekten zu verbessern. So wie in seinen Bildern reine Farben gegen Mischtöne, Konturen gegen Flächenstrukturen, ausgearbeitete Partien gegen skizzenhafte gesetzt sind, nutzt er die Möglichkeiten schlechter Auflösung, schlechter Kollisionsabfragen, Kompressionsartefakte, Clipping und Pixelbrei als spielerische und Bedeutung konstituierende Ausdrucksmittel.
Besonders deutlich wird dieses in einer der ersten Szenen, die die Protagonistin als ständig überschreibbare erotische Projektionsfläche einführt, eine blutrote Hommage an Tom Wesselmanns erotische Pop-Art-Kunst. Die Figur taucht bereits in einigen Gemälden von Hofmann auf wie „Rotes Portrait“ (2012) und „Mund“ (2013). Auch in anderen Szenen reimportiert der Künstler eigene Werke, die nun ein neues Eigenleben als Kulissen oder Schauerarchitekturen weiterführen (und die später auch wieder transformiert in seiner Malerei wiederkehren). Bevölkert werden die Kerker, Wüsten, verlassenen Gassen, Friedhöfe, Gärten, Schneelandschaften von reißenden Wölfen, Ratten, Muskelprotzen, Rambos, Wächtern, Soldaten, Polizisten; Versatzstücke aus Comic- und Actionfilmen und auch Videospielen.
Es sind sprachlose Charaktere, die auf der reinen und emotionslosen Funktion ihrer Körper basieren. Allein in einer signifikanten Szene zeigt Hofmann drei Frauenfiguren, denen es gelingt, aus der Gefangenheit ihrer verletzbaren Körper durch Zärtlichkeit und Mitgefühl auszubrechen und auf einem „next level“ am Ende des Films in einem Paradiesgarten zu enden. Hier bricht der Film zunächst einfach ab, der als „ongoing-project“ in den nächsten Jahren weitergeführt werden soll.
In den aneinander gereihten Sequenzen werden narrative Strukturen angedeutet, aber unentwegt amputiert, wie bei Träumen gibt es keine lineare Logik. Anders als bei Kurz- oder Spielfilmen verweigern sich auch Höhepunkte; es gibt weder Showdown noch Orgasmus. Die jeweiligen Kapitel könnten fast spielerisch oder auch per Zufall zusammengefügt sein. Bisweilen lösen sich auch die Bilder parallel zu den Handlungsansätzen förmlich auf. Der Struktur von Computerspielen folgend führt ein „try and error“ immer wieder auf vergleichbare Situationen zurück. Auch der „Held“, dessen Mission ungeklärt bleibt, und David-Lynch-Visionen gleich mehrere Nahtode erduldet, scheitert. Übrig bleiben „hilflose Charaktere, die einer Welt korrumpierter Gesten und Symbole ausgeliefert sind“ und nie zusammenkommen.
Als ich Julius Hofmanns erste Filme wie „LAPD“ (2012) sah, erinnerte mich das intentional an die frühen, wenn auch formal unterschiedlichen Arbeiten von Yves Netzhammer und in seiner rüden Ästhetik an Magnus Wallins frühe 3-D-Filmanimationen wie „Exit“ von 1997, ein aufgeladen metaphorischer Kurzfilm, der eine sarkastische Hetzjagd in einer Arena inszeniert, in der von Hieronymus Busch inspirierte Krüppel und Gejagte nur den Tod finden können. Solche künstlerischen Videoarbeiten waren damals gänzlich neu und sprachen das Publikum unmittelbar an. Metaphorisch gelang es Wallin in einer neu interpretierten Computerspielästhetik, eine ungeheuerliche Gewalt gegenüber den Schwächeren zum Ausdruck zu bringen. Zudem zielte die Arbeit aber auch darauf ab, die apparativen, kodierten und medialen Bestimmungen von Spielen, Aufbau und Konstruktion sichtbar zu machen, Illusionstechniken zu entlarven, ohne in die DNA der Spiele, in die Software einzudringen. Mittlerweile haben Kassenschlager-Spielfilme wie „Battle Royal“ (2000) oder „Hunger Games“ (Tribute to Panem, 2012) derartige Computerspielideologien mit höchstem Unterhaltungswert weit über Hollywood hinausgeführt. In diesen „Duellen von Champions“ und Superhelden können nur wenige überleben. Ihre Drehbücher sind per se ihrer vorherbestimmten Existenz als weitaus umsatzstärkere Computerspielvarianten geschuldet.
Hofmanns Drehbücher generieren ganz aus der Malerei, die sein Leitmedium bleibt. Die in seinen Bildern stattfinden Kämpfe unterliegen einer anderen Logik. Hofmanns Bildphantasien beleuchten und fixieren eine virtuelle Welt, die sich klonhaft abbildet und zugleich an dem eigenen toxischen Gehalt abarbeitet. Wieder einmal gilt es als technische Utopie, dass Initiationsriten, Ich-Bewusstsein, sexuelle Begier und das Training von Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten vom Körper abgelöst sind. Ein Alptraum, der nur durch seine Deutung wieder in die Wirklichkeit zurückgeführt werden kann.
Sabine Maria Schmidt