PARIS PHOTO 2015
Danica Dakić in der Gandy Gallery
Das fotografische Werk von Danica Dakić nimmt einen eigenen Stellenwert innerhalb ihres Werkes ein, auch wenn es in engem Zusammenhang mit ihren Video- und Klanginstallationen und partizipatorischen Projekten und Performances entsteht und gelesen werden kann. Dakićs Fotografien sind weder Videostills noch Making-off- oder Set-Fotografien. Ihre präzise und genau durchdachten Bildkompositionen basieren auf oft langdauernden Produktionsprozessen und einer intensiven Zusammenarbeit mit den Dargestellten, die ihnen eine eigene, zugleich allegorische und transitorische Rolle im gegenwärtigen „teatrum mundi“ ermöglicht und stereotype Zuschreibungen verschiebt.
Die vierteilige fotografische Serie „La Grande Galerie“ aus dem Jahr 2004 zeigt, wie komplex historische, kunsthistorische und zeitgenössische Narrationen in Dakićs Werk verknüpft sind. Die titelgebende und fiktionalisierte Ruinendystopie von Hubert Robert, die nach den Wirren der französischen Revolution und der damaligen Eröffnung des Weltmuseums entstand, bildet den Ausgangspunkt eines Dialoges mit Roma-Flüchtlingen im Kosovo. Im Vorfeld ihrer Reise hatte die Künstlerin ein überdimensioniertes Prospekt des Bildes anfertigen lassen. In einer Roma-Enklave ließ sie Familienmitglieder vor diesem posieren. Zwei weitere Bilder aus der Sammlung des Louvre, Nicolas Régniers Wahrsagerin (ca. 1626) und Georges de La Tours Falschspieler (1635), nutzen die Darstellenden für die Auseinandersetzung mit zugeschriebenen und angenommenen „Zigeuner“-Rollen. In der Containersiedlung eines Roma-Flüchtlingslagers im Kosovo erhält das allegorische Ruinenbild kultureller Vergänglichkeit und zeichenhafter Ortlosigkeit eine weitere Auslegung. Die Lebensumstände der Menschen werden weder beschönigt noch romantisiert, ihr prekärer Status fast beiläufig miterzählt. Zugleich handelt das Bild von den Trümmern und Fehlstellen im kollektiven Gedächtnis, die in Zeiten großer Umbrüche keine einheitlichen Bilder mehr zusammenfügen lassen.
Konzeptuell ähnlich verfährt Dakić mit ihrer dreiteiligen Werkreihe „El Dorado“ (2007), die im Auftrag der documenta 12 in Kassel entstand, ebenso unter enger Mitarbeit des Fotografen und Kameramanns Egbert Trogemann. Hier wählt die Künstlerin die gleichnamige Panoramatapete aus dem Jahr 1849 für ihre „Bild im Bild“-Inszenierung, die das hybride Geflecht historischer Darstellungstraditionen in eine neue Lesart überführt. Der Titel „Gießbergstraße“ nennt die Adresse eines Kasseler Wohnheims für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Künstlerin erarbeitete mit dort lebenden Jugendlichen performative Aktionen und Interviews, in denen sie vor dem fiktiven Paradies der exotischen Kulisse ihre Vorstellungen von Glück, Selbstbehauptung und Lebensgestaltung zum Ausdruck brachten.
Dakić verknüpft in diesen Bildern die Tradition der Tableaux Vivants und barocker Bildrhetorik mit der inszenierten Studioaufnahme des 19. Jahrhunderts. Zugleich erinnern diese Bilder auch an die Strategien früher ethnographischer Fotografen oder die wiederentdeckten autochromen Aufnahmen von Albert Kahn vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch verschieben die Porträtierten die Stereotypen pittoresker Vorlagen, indem sie die Rollen selber definieren oder sich dieser spielerisch ermächtigen.
Die Klarheit der gewählten Bildausschnitte, die klassischen Kompositionen, die Hell-Dunkel-Dramaturgie des Lichtes, die Inszenierung der Akteure vor bühnenhaften Architekturen oder gemalten Tapeten, die Ausarbeitung von Farbnuancen im Bild zeugen von der aus der Malerei geschöpften ästhetischen Disposition der Künstlerin, die sie auch für die fotografischen Bilder nutzt. „Ich denke wie eine Malerin. Ich glaube an Bilder und an ihre ästhetische Sprengkraft.“ (Danica Dakić)
Programmatisch wirkt vor diesem Kontext die großformatige Fotografie „Isola Bella“ (2007), in der sie erneut die Reproduktion einer historischen Panoramatapete ins Bild setzt. Die in einer grauen Winterlandschaft gestrandete und verlassene Projektionsfläche vom Mythos eines sorgenfreien und paradiesischen Lebens wirkt mehr als deplatziert und appelliert dennoch an den Glauben und die Kraft individueller Entwicklung und Utopien.
Ebenso emblematisch und komplex ist die Fotografie „Safe Frame III“ von 2012, die zunächst wie beiläufig situativ eingefangen zu sein scheint. Verschwommen und unscharf durchscheint das Bild einer Gruppe von Frauen in einem goldenen Bilderrahmen, den sie gemeinsam tragen. Anders als der aus der Filmtechnik entlehnte Begriff für gesicherte Bildübertragung suggeriert, lässt sich ein konturiertes Bild von ihnen allerdings nicht erschließen. Denn die Abgebildeten befinden sich auf der Rückseite des Rahmens, der kein Gemälde, sondern eine transparente Folie umspannt, durch die ihre Körper schattenhaft zu sehen sind – ein metaphorisches Statement auch über die aktuell brisante Frage, wie (Medien-)Bilder von Menschen entstehen.
(Der barocke Bilderrahmen diente zunächst als Requisit für eine Installation im MMK Frankfurt, in der 23 Frauen aus Krisenländern in Auseinandersetzung mit der Sammlung über Freiheit und Sicherheit reflektierten. Ausgangspunkt dieses Projektes war wiederum eine historische Fotografie von Paul Almásy von 1942, die eine Protestaktion von Museumsmitarbeitern des Louvre dokumentiert. Diese hatten zahlreiche Bilder aus ihren Rahmen entfernt, um sie vor der Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten zu schützen.)
Die in Düsseldorf ansässige und aus Sarajevo stammende Künstlerin Danica Dakić thematisiert in vielen ihrer Arbeiten die Bedeutung vom Leben in mehreren Sprachen und Kulturen, von Sprechen und Gehörtwerden. Die frühe und bisher einzige s-/w-Aufnahme „A Cappella“, 2002 (eine analoge Doppelbelichtung, Vintage-Print auf Barytpapier), ist ein Beispiel für die ungewöhnlichen Bildfindungen der Künstlerin. Der Ausdruck tiefer Kontemplation ist wortwörtlich überschrieben von einem inhärenten Geflecht babylonischer Sprachverwirrung.
Mit der fünfteiligen Fotoserie junger gehörloser Mädchen widmet sich Dakić erneut der rhetorischen Wirkkraft von Bildern. Die Akteurinnen dieser für die Liverpool Biennale 2010 entstandenen Werkgruppe sind Mitglieder des „The Liverpool Signing Choir“; ein innovatives britisches Chorprojekt. Alle Mädchen sind im Halbportrait vor einem dunklen Hintergrund aufgenommen und gänzlich auf ihren gestischen Sprechakt konzentriert. In diesen Fotografien rückt die Künstlerin mit Close-ups ganz nah an ihre Protagonistinnen heran, immer mit einem ausgewogenen Verhältnis von Nähe und Distanz. Und doch ist der fein gezeichnete Ausdruck ihrer Gesichter nicht mit der Grammatik ihrer Hände und Gebärden in Einklang zu bringen; vor allem wenn wir ihre Sprache (hier die engl. Gebärdensprache) nicht verstehen. In allen fotografischen Aufnahmen wird das Vertrauen spürbar, mit dem sich die Dargestellten und Porträtierten, immer Laien, auf das Spannungsfeld aktiver Inszenierung und individueller Authentizität einlassen. Dabei agiert Dakić wie eine Regisseurin, die das Wesentliche und die Schönheit der menschlichen Identität mit Empathie erkundet und theatralische Bühnen schafft, auf denen sich jenseits politischer, sozialer oder ökonomischer Festschreibungen eigene, individuelle Narrationen entwickeln lassen.
„Ich möchte Räume schaffen, aus denen meine Protagonisten ausbrechen können. Räume, in denen Sehnsüchte formuliert werden, die es ermöglichen, an Orte zu gelangen, die vorher niemals denkbar waren“.
Sabine Maria Schmidt
____________________________