Wenn ich mir zum Jahres- und Dekadenwechsel etwas hätte wünschen dürfen, dann mehr Gelassenheit und weniger Augenmerk für Pseudodebatten und Populisten im Feuilleton. Doch kaum stand Weihnachten vor der Tür, bot ein von einem Kinderchor vorgetragenes, verballhorntes Kinderspotlied unfreiwilligen Anlass für Hetz- und Hasstiraden in rechten Facebook- und Twitterkampagnen. Hier wären Kinder „missbraucht“ worden von Vertretern einer neuen „Ökodiktatur“, ausgestrahlt von „Systemmedien“ wie dem WDR-Rundfunk; so der Sprache missbrauchende Duktus rechtsradikaler Narrative, die dann auch leibhaftig vor Ort (am Kölner Appelhofplatz) vorgetragen wurden. Neben Migrant*innen sind Umwelt- und Klimaschützer*innen zu Hauptfeinden von Weltverschwörungstheoretikern und Neurechten geworden. Aktivem, gemeinschaftsorientiertem Handeln und realem, oft sozialem Engagement von Menschen wird auch im Alltag immer häufiger mit Hass entgegnet.
Das polemische und realitätsverzerrende Narrativ einer „Diktatur von Eliten“ hat mittlerweile zahlreiche Bereiche eingefärbt. Und auch im Kultur- und Kunstfeuilleton ist selbst aus intellektuelleren Kreisen ein immer selbstgefälligerer Populismus zu beobachten.
Je unsinniger und unverschämter Behauptungen sind, um so mehr Platz scheint ihnen gewährt. Erst mal „heftig was raushauen“, egal, was es ist und auf welchem Niveau. Dann müssen sich die Gegenparteien damit herumschlagen und argumentativ entgegnen, warum der in Feuilletons und sozialen Medien breit gestreute Unfug ein ebensolcher ist. Erstaunlich wie das, auch nach fünf Jahren ermüdendem, meist demokratiefeindlichen Populismus, weiterhin bestens funktioniert.
So galt es auch, die Augen und Ohren zu reiben, als Anfang November 2019 ausgerechnet zwei sogenannte „Insider“ des Kunstbetriebs zu mehr „Demokratie in der Kunst“ aufriefen. Einer der beiden, der Autor und Dozent Stefan Heidenreich, lehrt Medientheorie an der Universität Basel, und dürfte wissen, was er tut. Er hatte bereits vor zwei Jahren rhetorisch die Abschaffung von Kuratoren im Kunstbetrieb gefordert. Anlass war die schwer verdauliche und komplizierte „Documenta 2019“ unter Adam Szymczyk, die allerdings zahlreichen demokratischen und künstlerischen Stimmen, die man sonst selten zuvor zu sehen bekam, ein Podium gewährt hatte. Ähnlich wie im damaligen Artikel sind einige Grundgedanken durchaus interessant, werden aber eben nicht wirklich im Artikel verfolgt, sondern verlieren sich in durcheinandergewürfelten, bisweilen abstrusen Beobachtungen und Thesen. Bei dem anderen Autor, Magnus Resch, kann man sich bisweilen nicht ganz sicher sein, ob er selber ganz durchdringt, was er eigentlich behauptet, doch dazu später.
Ab einem gewissen, niederschwelligen Level macht es ja eigentlich keinen Sinn, auf Behauptungen argumentativ zu reagieren. „Schluss mit dem Kult der Exklusivität“, titelte ausgerechnet die Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Aufruf von Heidenreich und Resch (29. Oktober 2019). Die Kunstwelt müsse endlich demokratisch werden“, hieß es in den Untertitelzeilen. Was folgte, war eine Aneinanderreihung von abstrus vereinfachten Banalitäten und Allgemeinplätzen über Kunstmarkt, Museumsausstellungen und einige deklamatorisch in Fett gesetzten vorgetragenen und völlig überflüssigen Tipps an Künstler und Betrachter. Wo waren die Autoren nur unterwegs, mochte man fragen. „Künstler sollten etwa ihre Fans mobilisieren“ – als würden sie ihre Arbeit und Ausstellungen im Geheimen austragen und nicht längst unterschiedlichste Media-Strategien entwickeln. „Käufer, erwerbt, was euch gefällt, nicht, was sich lohnt!“ – als wäre bei mächtigen reichen Sammlern noch ein Unterschied zu vermerken zwischen dem was gefällt und sich lohnt.
Der klapperdürre Beitrag, in dem jeder Satz beim Lesen schmerzte, wurde in zahlreichen Feuilletons aufgegriffen und heftig kritisiert. Geht es den Autoren mutmaßlich weniger um eine wirklich die Produzent*innen und Betrachter*innen fördernde Debatte, als vielmehr um eine, die den eigenen Geschäftsmodellen zuträglich sein dürfte? Dass dabei in Kauf genommen wird, die Arbeitsleistungen zahlreicher Berufsfelder und Fachleute im Kunstbetrieb zu diskreditieren, wie es Kolja Reichert treffend anmerkte (Kolja Reichert: „Die Kunst demokratisieren? Bitte nicht!“, FAZ, 30.11.2019), macht die Debatte dann leider doch zu einem kleinen Politikum. Denn der Kunstbetrieb, mit all seinen diversen Institutionen, Stimmen, Berufsfeldern, Ausbildungsinstituten, Vermittlungsmodellen, professionellen Akteuren, ebenso wie Quereinsteigern und Amateuren, Vernetzungen zu Geistes- und Naturwissenschaften, Markt und anderen öffentlichen Stadtgesellschaften ist durch und durch demokratisch. Dass diese weit verästelten Strukturen allerdings zunehmend von ökonomischen Machtverhältnissen überlagert werden, ist ja ein wichtiger Streitpunkt, der allerdings nicht erst jüngst mit diesen beiden Herrschaften, sondern im Kunstbetrieb von vielen Künstler*innen, Kurator*innen, und Kritiker*innen permanent zur Diskussion gebracht wird.
Man möchte das Scheingefecht von Heidenreich und Resch daher ins Donquijoteske verlagern, doch kämpfen beide Autoren eben nicht gegen die „Perversitäten“ einer „Finanz-Elite“ im völlig überheizten Kunstmarkt, in dem Werke auf Kunstauktionen gehäckselt werden, unzählige Fälschungen kursieren oder Instagram-Sammler aufgeblasenen Mickey-Mouse-Puppen zu Preisrekorden verhelfen (Holger Liebs: „Das ist Populismus“, in: Der Freitag, 49/2019). Vielmehr möchte man offensichtlich Anteil haben am dicken Kuchen. Den gewähren – so der Plattformkapitalist und Jungunternehmer Magnus Resch – eben neue Apps und Plattformen, geteilt und genutzt in den sozialen Medien, bezahlt mit den Klickrates der Währungsökonomie Aufmerksamkeit. Das konnte man direkt auf Facebook verfolgen, wo beide mit Stolz vermerkten; ihr Beitrag hätte so viele Klicks wie noch nie bei einem Zeit-Artikel generiert.
Wer ist dieser Magnus Resch, der Sätze triggert wie „“Gute Kunst existiert nicht und ist lediglich eine Marketingphrase“ oder „Kunstakademien müssen abgeschafft werden, da sie in die Arbeitslosigkeit führen“ oder „Künstler müssen kundenfreundlicher werden“? Ein genialer Outsider, der stattdessen ein eigenes Online-Seminar „Magnus_Class“ anbietet: der eigene Name ist Programm. Finden ihn wirklich so viele cool?
Wer auf die Homepage des energetischen Jungunternehmers schaut, der am Anfang mal schnöde Betriebswissenschaft studiert hat, und nun als „Prof. Dr. von wer weiss was“, die Kunstwelt „aufmischt“, erfährt von einem Wunderkind, das alles, was es in den Händen hält, zu Gold macht. „Magnus is the leader“, zitiert er (!) die „New York Times“, die u.a. über seine neue App berichtet: „Shazam for Art“, erfunden von Magnus himself. Das Problem: Wegen Vorwürfen von Datenklau und Copyright-Verletzungen wurde die App 2016 zunächst aus dem Apple Store herausgenommen. Aus welchen Quellen sich die App speist und welche Forschungsergebnisse hier einwirken, bleibt unerwähnt: crowd sourcing heißt das heute. Nicht zuletzt gibt es auch Museen wie das Metropolitan Museum, die ähnliche Apps entwickelt haben: man fotografiert ein Bild und erhält ausführliche Informationen darüber. Die MagnusApp bietet zudem aktuelle Rankings über die Preisentwicklung von Künstlern an. Zu einem Bestseller ist angeblich auch Reschs Buch über „das Management von Kunstgalerien“ geworden. Wer das lese, dessen Galerie würde ein „Profit-Center“, tönt der Autor in einem von Huawei gesponserten Videointerview. Hingegen rät er Künstler von der Allmacht der Galeristen ab. (Übrigens: Bis dato hat sich bei der Autorin dieses Artikels noch niemand dazu bekannt, das Buch gelesen bzw. einen Kurs besucht zu haben; was letztlich vielleicht aber eher das Unbedeutend-Sein der Autorin belegt). Ein Meister des Name-droppings und des dekontextualisierten Eigenlobs ist Resch allemal. Leonardo DiCaprio sei stolz darauf, ein Partner von „Magnus“ sein zu dürfen, heißt es zur App.
Für die ewig zermürbende Frage, warum der eine in der Kunst erfolgreicher ist als der andere, bemüht Resch eine eigens durchgeführte datenvisualisierte „Harvard-Studie“, die in dem US-Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht wurde und zu einem „verblüffenden“ Allgemeinplatz kommt: Mächtige Galerien haben den größten Einfluss auf den Erfolg von Künstlern. Dieser habe also nichts mit der eigentlichen Kunst zu tun! Das Netzwerk eines Künstlers sei am Ende entscheidender, las man in einem Spiegel-Interview (Spiegel Kultur, 28.12.2019). Qualität spiele keine Rolle.
Ist Resch also ein neuer Felix Krull im Kunstbetrieb? In der Unterhaltungsbranche hatte sich der Start-Up-Unternehmer mit seinem enthemmten Narzismus zunächst viel Hohn & Spott eingebracht und dafür die Auszeichnung „#beimirläuft’s“ von den TV-Stars Joko und Klaas in der Sendung „Circus HalliGalli“ erhalten. Skifahrend hatte sich der Jungstar selbstberauscht gefilmt und kommentiert: „Tja, ob das bei euch genauso (geil) gerade ist? I daut it!“. Das Video ging viral und wurde zur Meme. Resch nutzt das gern zur weiteren Selbstvermarktung. „Blutjung“ war Resch bereits bei Springstar eingestiegen, hatte das Online-Fitness-Studio „Gymondo“ mitbegründet, den Schmuck-Shop „Juvalia & You“ und dann vor allem die vielleicht erfolgreichste Seite „Larry‘s List“, also genau die Plattform, die Privatsammler und Finanzeliten miteinander vernetzt und auf der wieder zahlreiche neue Apps an den Mann und die Frau gebracht werden können. Da kann man z.B. erfahren, wo man mal eben einen Raum in Shanghai für eine Pop-Up-Exhibition mieten kann.
Wenn Resch also von „mehr Demokratie im Kunstbetrieb“ spricht, hört sich das eher nach Marketing und einer Multiplikation von Konsumenten an. Bereits jetzt wurde angekündigt, dass Heidenreich und Resch ein „neues Geheimnis“ lüften werden, das den anderen unzähligen Playern des Kunstbetriebes offensichtlich bisher entgangen ist. Mit diesen könne man die Besucher stärker darin einbinden, zu entscheiden, was sie denn sehen möchten. Was sich daraus generieren könnte, kann man dann hoffentlich nicht nur auf Instagram und Facebook, oder mittels Lotterien beobachten.
Auf Plattformen wie Instagram oder Larry’s List gibt es nur Gewinner und Global Player. Viele der Protagonisten agieren in einer selbstverliebten, realitätsverzerrenden „Platz da, hier komm´ ich!“- Erzählung. In demokratischen Strukturen gibt es aber auch Minderheiten und Verlierer, die eben nicht ökonomisch autosuffizient arbeiten können und daher von größeren Gemeinschaften geschützt werden müssen. In der Welt der sozialen Medien finden Beharrlichkeit, Rückzug und Zweifel, Ringen um Form und Idee, die Dauer und das Scheitern von Arbeitsprozessen oder Schüchternheit nur selten Ausdrucksformen. Wahrhaftigkeit, Schönheit und innere Notwendigkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion; all das sind Kategorien, die seit der Aufklärung die Qualität von Kunst mitdefiniert haben. Und nicht zuletzt: zur Qualität des Kunstbetriebs gehören auch integre Persönlichkeiten, die unbestechlich bleiben möchten, die in dem Bewusstsein davon leben, dass persönliche Maßstäbe und Wertvorstellungen sich im Verhalten und in der ästhetischen Produktion ausdrücken können. Ein solcher Einsatz für subjektive positive Werte ist ein ganz elementarer Bestandteil demokratischen Handelns. Es wäre weiterhin ein dringlicher Wunsch, das genau darüber in den immer marginaler werdenden Feuilletonspalten berichtet wird.
(15. Januar 2020)